18.03.2015, 15:10 Uhr

«Der NDB braucht eine unabhängige Aufsicht»

Staatsrechtsprofessor Dr. Markus Schefer ist überrascht über die deutliche Annahme des Nachrichtendienstgesetzes im Nationalrat. Er spricht über Fehler der Gegner, fehlende Kontrolle und den Sinn eines Geheimdiensts.
Der Nationalrat stimmte mit 119 zu 65 Stimmen fr das neue Nachrichtendienstgesetz. Nimmt auch der Ständerat die Vorlage an, erhält der Schweizer Geheimdienst (NDB) wesentlich mehr Kompetenzen. Unter anderem wird er Computer hacken und Telefone abhren dürfen. Vieles davon unter dem Deckmantel des «Geheimen», der es dem NDB ermöglicht, seine Tätigkeiten gegenüber der Öffentlichkeit nicht rechtfertigen zu müssen. Wir haben uns mit dem Basler Strafrechtsprofessor Dr. Markus Schefer unterhalten, Ordinarius für Staats- und Verwaltungsrecht an der Universität Basel.
Computerworld.ch: Wird die Schweiz sicherer, wenn das NDB-Gesetz im Ständerat durchkommt?
Markus Schefer: Das Gefühl habe ich nicht. Dazu müsste der Geheimdienst Berichte vorlegen, die zeigen, dass sie aufgrund fehlender Mittel etwas nicht bekämpfen konnten. Und ich bezweifle, dass die existieren. Denn falls der NDB im Besitz solcher Informationen wäre, würden sie ihm ja nur helfen.
Die Nationalräte sehen das offenbar anders. Hat Sie das Abstimmungsergebnis überrascht?
In dieser Deutlichkeit hätte ich das Ergebnis nicht erwartet, es gab ja fast 120 Pro-Stimmen.  Das ist vor allem auch aus liberaler Sicht erstaunlich, denn man muss kein Linker sein, um skeptisch zu sein. Sondern man sollte unabhängig von der politischen Ausrichtung skeptisch sein gegenüber derart weitreichenden Eingriffsmöglichkeiten des Staates. Vor allem dass die FDP, die kritisch gegenüber staatlichen Interventionen ist, geschlossen für das Gesetz stimmt, ist sonderbar.
Wie erklären Sie sich, dass offenbar nicht genügend Skepsis vorhanden war?
Was den Befürwortern sicher geholfen hat, ist der Islamische Staat. Diese Organisation kann derart gut mit den Medien spielen, dass die Menschen verbreitet das Gefühl haben, sie seien auch bedroht. Aber zumindest in der Schweiz haben sich solche Befürchtungen bisher nicht bestätigt.
Was die IS für die eine Seite ist, sollte doch die NSA auf der anderen Seite sein. Die sorgt seit knapp 2 Jahren dafür, dass die Skepsis gegenüber Geheimdienstaktivitäten steigt.
Das dachte ich zuerst auch. Aber Markus Seiler, der Chef des Nachrichtendienstes des Bundes, hat sehr clever reagiert. Er sagte, man müsse unseren Nachrichtendienst stärker machen, damit wir ausländischen Diensten etwas entgegenzusetzen haben. Das hatte eine Wirkung.
Ihre Aussagen lassen den Schluss zu, dass die NDB-Gegner ziemlich versagt haben. Ihnen ist es nicht gelungen, selber Agenda-Setting zu betreiben.
Man kann sie sicher kritisieren. Besonders müsste man schauen, ob sie kooperiert haben. Die SP beispielsweise hat zu Beginn einen sehr gespaltenen Eindruck gemacht. Als Aussenstehender dünkte es mich, es fehlte ein einheitliches Auftreten, auch ausserhalb der SP. Es gab vereinzelt Leute wie Daniel Vischer, die prominent auftraten. Aber es blieben Episoden. Es gab auch lange keine öffentlichkeitswirksame Diskussion. Und auf der anderen Seite hat der NDB schon lange angefangen, für sein Gesetz Werbung zu machen.
Nun wollen die Gegner die wohl letzte Chance packen und ein Referendum ergreifen. Was halten Sie davon?
Warten wir erst den Ständerat ab. Ein Referendum ist immer ein Vabanque-Spiel. Wichtig ist, dass sich die Gegner des Gesetzes koordinieren. Und ist keine grosse Partei dabei, kann man das Unterfangen eigentlich gleich abbrechen.
Lesen Sie auf der nächsten Seite: Neue Aufsicht gefordert
Wie ist das neue Nachrichtendienstgesetz mit dem Rechtsstaat Schweiz vereinbar?
In Bezug darauf, was ein Geheimdienst können soll, kann man viele Meinungen haben. Man kann aber nicht bezweifeln, dass es eine besonders wirksame Aufsicht braucht, wenn man dem Nachrichtendienst derart weitreichende Mittel gibt, um einzelne Leute zu durchleuchten. Und diese Aufsicht gibt es nach gegenwärtigem Stand nicht.
Können Sie das erläutern?
Es gibt die VBS-interne Aufsicht. Das sind aber nur 4 Leute, die Ueli Maurer unterstehen. Wie sollen die den gesamten Geheimdienstapparat beaufsichtigen? Das ist eine dreistellige Zahl von Angestellten beim Bund, dazu kommen nochmal rund 100 in den Kantonen. Nebst dem Personal ist es aber auch ein Kompetenzproblem: Wenn die Aufsicht dem gleichen Chef untersteht wie der Nachrichtenchef, ist das nicht vorteilhaft. Es braucht darum eine unabhängige Aufsicht, die weder dem VBS noch dem Bundesrat untersteht.
Dafür gibt es doch die Geschäftsprüfungsdelegation der Räte (GPDel)?
Die GPDel nimmt die Oberaufsicht für das Parlament wahr. Diese braucht es weiterhin. Sie kann aber eine wirksame Aufsicht nicht ersetzen. Wir brauchen eine Aufsicht, die sich vollamtlich mit dem Geheimdienst beschäftigt, vollkommen unabhängig ist, ungehindert in alle Akten Einsicht nehmen kann und mit genügend Ressourcen ausgestattet ist.
Sie meinen eine Organisation, die aus professionellen Fachleuten besteht?
Ja. Sie darf in keiner Weise dem Bundesrat unterstehen, ansonsten schlägt das VBS einfach Leute vor, von denen das Departement weiss, dass die zahm überwachen. Ich stelle mir vor, dass eine solche Aufsicht aus spezialisierten Personen besteht, die wissen, wie und wo man Fragen stellt. Beispielweise Informatiker, Leute mit grosser Geheimdiensterfahrung und Rechtsexperten.
Also auch Juristen. Würde Sie ein solcher Job reizen?
Ich kontrolliere zwar in einem kleinen Nebenamt gemeinsam mit anderen die wenigen NDB-Leute im Kanton Basel-Stadt, was anspruchsvoll und hochinteressant ist. Aber hauptberuflich würde ich das nicht machen wollen. Als Professor habe ich eine Freiheit, die ich in keinem anderen Beruf habe. Die möchte ich nicht aufgeben. Und die Studierenden möchte ich auch nicht missen.
Und wie wäre es, den NDB dem Öffentlichkeitsprinzip zu unterstellen, was einige Parlamentarier gefordert haben?
Zunächst müssen wir uns im Klaren sein, was dies bedeuten würde: Es würde sicherstellen, dass der Geheimdienst nur vertraulich behandelt, was vertraulich behandelt werden muss. Es hiesse aber nicht ? wie es viele Leute falsch verstehen ? dass alles öffentlich wäre. Der Eidgenössische Datenschutzbeauftrage würde, wie in anderen Ämtern auch, nachprüfen, welche Dokumente der Öffentlichkeit vorenthalten werden. Es würde also helfen, den Geheimdienst transparenter zu machen, ohne dass er seine Geheimhaltung darunter leiden würde.
Es gibt Leute die argumentieren, dass auch die Bundesanwaltschaft die Aufgaben des Geheimdienstes übernehmen kann.
Das kann man in der Tat so sehen. Allerdings hätte die Bundesanwaltschaft dafür viel zu wenig Personal. Es reicht nicht nur zu sagen, die Staatsanwaltschaft solle das übernehmen. Man müsste auch entsprechend handeln. Und der Geheimdienst spioniert auch im Ausland. Das könnte die Bundesanwaltschaft wohl eher nicht tun.
Weil gerade die Auslandaktivitäten angesprochen wurden: Seit einigen Jahren sind In- und Auslandgeheimdienst zusammengeführt. Es gibt Stimmen, die eine Trennung der Aufgaben fordern. Sie auch?
Ich weiss nicht, ob das besser wäre. Ich sehe nur, dass die Zusammenführung bis heute nicht optimal funktioniert. Man hat bis heute innerhalb der Behörde offenbar zwei Kulturen, was sicher verbesserungswürdig ist. Rechtsstaatlich sehe ich allerdings keinen grundsätzlichen Vorteil.
Eine polemische Frage zum Schluss: Braucht die Schweiz überhaupt einen Geheimdienst?
Ich denke, ja. Aber wirklich beurteilen kann ich das nicht. Letztlich verfügen lediglich die Mitglieder des Nachrichtendienstes selber und jene der GPDel über fundierte Informationen dazu. Vielleicht müsste sich die GPDel dazu äussern. Dass der Geheimdienst die Frage bejaht, liegt auf der Hand. Insgesamt ist es wohl schon sinnvoll, einen Nachrichtendienst zu haben. Nur einen etwas bescheideneren und besser kontrollierten als jetzt vorgesehen.



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