22.08.2013, 15:06 Uhr

Brauchen wir bald ausländische IT-Lehrlinge?

Ein Überangebot an Lehrstellen zeichnet sich ab. Der Bund erwägt inzwischen sogar eine Lösung, um ausländische Lehrlinge anzuwerben. Das wirft Fragen auf. Was meinen der Chef der ICT Schweiz und namhafte IT-Konzerne?
Sind IT-Lehrlinge Mangelwahre?
Das aktuelle Lehrstellenbarometer besagt es zwar: Von etwa 81'500 Lehrstellen konnten gemäss letztem Stichtag vom April nur 78'000 Plätze besetzt werden. Diese Zahl ist zwar branchenübergreifend. Wohl gemerkt: In handwerklichen Berufen und in der Landwirtschaft besteht offensichtlich ein etwas grösseres Defizit als im Dienstleistungssektor. Dennoch erstaunt, dass in der IT-Branche lediglich (wie im Vorjahr) 2 Prozent aller Lehrplätze nicht besetzt werden konnten. Margrit Stamm, Leiterin des Instituts für Bildungsfragen in Bern, zeigt sich brüskiert gegenüber möglichen Schnellschusskonzepten des Bundes: Sie hat unter anderem eine Studie veröffentlicht, die aufzeigen soll, dass es nicht nur an qualifizierten Lehrlingen mangle, sondern dass viele Betriebe bei der Lehrlingssuche auf falsche Strategien setzen.

Gute Schulnoten und Basic-Checks

Überzeugt gibt sich Stamm laut einem Interview vom Tages-Anzeiger in einer Sache: Erfolgreicher seien vor allem jene Firmen, die nicht zu sehr gute Schulnoten und auf gute Leistungen in Basic-Checks setzen. Stamms Meinung nach ist die aktuelle Taktik des Bundes mit möglichen Lehrlingsimporten ein «Schnellschuss». Zwar will der Bund die Jugendarbeitslosigkeit in der EU bekämpfen, was aus Sicht von Stamm «löblich» anmutet. Die Schweiz könnte eher helfen, in diesen Ländern Jugendliche auszubilden, wie es teilweise schon andere Konzerne machen, um mit Bekanntmachung unseres etablierten Berufsbildungssystems einen positiven Impact auf ausländische Berufsbildungssysteme auszuüben, gibt sich die Erziehungswissenschaftlerin zuversichtlich. Nächste Seite: Die Situation im ICT-Sektor

Intellektuelle Anforderungen sind hoch

Auf die Frage, ob denn auch im IT-Sektor viele Unternehmen jährlich nur schwankend die Ausbildungsplätze besetzen können, meinte Jörg Aebischer, Geschäftsführer der ICT-Berufsbildung Schweiz, dass in diesem Segment keine klare Tendenz zu starken Schwankungen bestünde. IT-Lehrstellen konnten zumindest in diesem Sektor immer gut gedeckt werden. Pro offene Informatiklehrstelle verzeichne die ICT in der Statistik bis zu 30 Bewerbungen. Durchaus: Die intellektuellen Anforderungen an einen solchen Lehrplatz sind nun mal hoch, ist sich Aebischer sicher, und man stelle fest, die eingestellten Azubis vieler Lehrbetriebe seien nun mal Sek-A-Abgänger oder gar potenzielle Gymi-Anwärter(innen). Mit Sicherheit würde man viele gute IT-Lehrlinge leider eher im Gymnasium suchen, meint Aebischer weiter.
Daher überlege man sich zurzeit sogar eine neue dreijährige Grundbildung für Bewerber, die den hohen intellektuellen Anforderungen nicht oder noch nicht gerecht werden. Man vertrete seitens ICT Schweiz die Ansicht, viele junge Berufsleute, deren kognitive Fähigkeiten sich steigern, sollen auch eine Chance haben. Es könne nicht angehen, dass ein einmalig schlechter Schulabschluss quasi als Stempel auferlegt werde. Viele junge Berufsleute sind willig, sich ständig weiterzubilden. Ähnlich wie Berufserfahrung sei Intellekt ebenso eine erweiterbare Fähigkeit. Lehrbetriebe mit schlecht besetzten Ausbildungsplätzen der Informatik mangle es eher daran, dass die Qualifikationsansprüche in vielerlei Hinsicht zu hoch seien, was rückblickend wiederum oft erkennbar sei, so Aebischer. Nächste Seite: Lehrling-Import ist falscher Ansatz Fehlendes Lehrpersonal mit einem Import ausländischer Lehrlinge zu entgegnen, hält der Chef der ICT-Berufsbildung Schweiz, ähnlich wie Stamm, für gleichermassen verwerflich. Eine solche Lösung wäre schon vom Ansatz her unrealistisch. Potenzial und Chancen hätten zwar 15-/16-Jährige. Somit stünde diese jüngere Zielgruppe an Fachkräften nach wie vor unter elterlicher Obhut. Mindestens für einen Elternteil müsste aufgrund der Minderjährigkeit in der Schweiz eine Unterkunft mit Arbeitsplatz gewährt sein. Es fragt sich ausserdem, wie viele ausländische Lehrlinge denn eine solche Bereitschaft aufbringen würden. Aebischer folgert ein ähnliches Fazit wie Frau Stamm: Man müsse eher in den entsprechenden Ländern ansetzen und dort Hilfe beim Ausbildungssystem vermitteln. 

Was meinen IT-Firmen in der Schweiz?

HP Schweiz etwa meint, dass die Lehrstellen jedes Jahr gut besetzt werden konnten und habe gemäss Mitteilung sogar keine Mühe, die Stellen mit qualifizierten Kandidaten zu besetzen. «Da wir bisher nie Probleme hatten, unsere Lehrstellen mit Kandidaten aus dem Inland zu besetzen, stellt sich diese Frage für uns gar nicht. Wenn wir unsere Lehrstellen nicht mit inländischen Bewerbern besetzen könnten, könnten wir uns als internationale Firma auch vorstellen, Lehrlinge aus dem Ausland einzustellen. Diese müssten aber dasselbe Bewerbungsverfahren durchlaufen wie die inländischen Bewerber und dieselben Kriterien erfüllen», meinte HP auf Anfrage. IBM Schweiz berichtet, man könne seit Jahren alle offenen IT-Lehrstellen problemlos besetzen. Momentan seien es sogar 50 IT-Lernende. Somit stelle sich die Frage nach einem Bedarf von ausländischen Lehrlingen erst gar nicht, gab uns Susan Orozco, Mediensprecherin von IBM Schweiz, zu verstehen. Bei Orange gingen wir zunächst von einer falschen Annahme aus. Tatsächlich beschäftigt Orange (schon seit Jahren) eher kaufmännische Lernende und angehende Detailhandelsfachleute. Jedoch sei auch in diesem Sektor keine spürbare Tendenz nach Lehrkräftemangel zu verzeichnen.



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