06.10.2011, 11:44 Uhr

Mehr politische Verantwortung für eine bessere IT-Zukunft

Kaum IT-Nachwuchs, desinteressierte, ahnungslose Politiker und bedenkliche Beschaffungspraktiken der Öffentlichen Hand - das ist das Résumé einer Paneldiskussion zum Thema «Politik und IT in der Schweiz».
v.l.n.r: Luc Haldimann, swiss made software; Beat Bussmann, Opacc Software; Jörg Aebischer, Verband ICT-Berufsbildung; Marius Redli, Ex-Direktor BIT; Kathy Riklin, Nationalrätin CVP; Matthias Stürmer, Ernst & Young
Anlässlich der Business-Software-Messe Topsoft, die gestern und heute auf der Bea Expo in Bern stattfindet, trafen sich Politiker und Vertreter der Schweizer IT-Szene zu einem Podiumsgespräch, um die Rahmenbedingungen für Swiss Made Software zu diskutieren.

In den kommenden Jahren werden zehntausende IT-Stellen nicht besetzt werden können, weil es schlicht und einfach an Nachwuchs fehlt und die Unternehmen der Branche viel zu wenig IT-Lehrlinge ausbilden. Ein Manko besteht aber nicht nur beim Nachwuchs, sondern auch in den Topetagen und der Politik. Die Aufgabe der Politik laute deshalb, IT nach Rechnen, Schreiben und Lesen als viertes Grundfach in der Schule einzuführen und zu etablieren. «Es ist wichtig, Stellen nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ zu schaffen», sagt Matthias Stürmer, Senior Advisor bei Ernst & Young. Die Faszination für IT und deren Komplexität müsse schon in der Schule geweckt werden. «Ausbildungsplatz- und Lehrstellenförderung müssen wir massiv vorantreiben», doppelt Jörg Aebischer, Geschäftsführer, Verband ICT-Berufsbildung Schweiz, nach.  
Oft wird die IT nur wahrgenommen, wenn sie nicht funktioniert. Hier ist auch die Politik gefragt. «Bei den Politikern ist noch nicht im Kopf verankert, was alles erst mit und durch IT funktioniert», gibt Marius Redli, FDP-Nationalratskandidat und ehemaliger Direktor des Bundesamtes für Informatik und Telekommunikation, selbstkritisch zu. «Hier besteht oft noch die Meinung, IT sei Käse.»

Viele Politiker haben selbst heute noch keine Affinität zu IT-Themen: Als letzte Woche beispielsweise der E-Mail-Verkehr beim Bund über einige Stunden ausgefallen ist, sollen es die meisten Parlamentarier gar nicht bemerkt haben. «Mit der Zeit kommen hoffentlich ein paar aufgewecktere Leute nach Bern», sagt CVP-Nationalrätin Kathy Riklin ganz deutlich. Zudem sei die Schweiz leider noch immer ein Agrarland, Riklin weiter, und die Zahl der Lobbyisten für die Landwirtschaft beispielsweise sei um ein Vielfaches grösser als für die IT. «Wir brauchen ein bisschen Druck seitens der Politik, wenn es um Kontingente geht», fordert Luc Haldimann, Initiant und Managing Partner, swiss made software. Wenn ein grosser Player ausländische Arbeitskräfte ins Land holen wolle, sollte das auch an Bedingungen geknüpft werden, wie zum Beispiel eine gewisse Anzahl Lehrlinge ausbilden zu müssen.

Scharfe Kritik gab es auch an der Beschaffungspraxis der Öffentlichen Hand: «Rund die Hälfte der öffentlichen Beschaffungen passieren ohne Ausschreibungen und sind von vornherein nicht hersteller- und produktneutral», sagt Stürmer von Ernst und Young. «Das verstösst gegen WTO-Regeln und verbaut Schweizer Softwareentwicklern die Chancen überhaupt mitzubieten.» «Wenn die Öffentliche Hand beschafft, spielen die Marktgesetze nicht», ergänzt Beat Bussmann, CEO von Opacc Software. Als kleiner Schweizer Anbieter werde er systematisch benachteiligt gegenüber grossen, internationalen Playern. Fazit: IT schafft Abhängigkeiten. Künftig muss es funktionale Ausschreibungen geben und es dürfen nicht mehr vereinzelte, grosse Anbieter vorgezogen werden.

Die Topsoft selbst lief am ersten Tag gut an, auch wenn vereinzelte kritische Töne («zu viele Aussteller, zu wenig Kunden») zu vernehmen waren. Die Software-Messe ist in ihrem 16. Durchführungsjahr nicht mehr aus der Schweizer IT-Landschaft wegzudenken. Am 1. Dezember findet im Lausanner Kongress- und Messezentrum Palais de Beaulieu nun erstmals auch eine Westschweizer Topsoft statt.



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