Experten 22.09.2010, 19:46 Uhr

eHealth verzögert sich

Spezialisten aus Politik, Gesundheitswesen und der Industrie blicken skeptisch auf die eHealth-Strategie. Das digitale Patientendossier wird wohl nicht in fünf Jahren fertig sein.
Salome von Greyerz vom BAG will ein freiwilliges Patientendossier
Die «eHealth Strategie» des Bundes sieht für 2015 eine elektronische Krankenakte für jeden Schweizer Bürger vor. Das Patientendossier wurde vor drei Jahren als Endausbaustufe des Schweizer eHealth definiert. Nun mehren sich die Stimmen, dass dieses Ziel wohl innert der gesetzten Frist nicht erreicht werden kann. Die Gründe sind so vielfältig wie die Anforderungen der beteiligen Gruppen.
Am zehnten «eHealthCare.ch»-Kongress in Nottwil stellten am Mittwoch der Bund, die Kantone, die Kassen, die Ärzte und die Industrie ihre Sichtweisen auf die Einführung des Patientendossiers dar. In der Diskussion der fünf Parteien wurde klar, dass die Frage nach der Verbindlichkeit der Krankenakte unterschiedlich beantwortet wird.
Einig waren Bund, Kantone, Versicherungen, Mediziner und Wirtschaft, dass angesichts aktueller Diskussionen um Standards, Regulierung und Pilotprojekte der Zeitplan für das Patientendossier vermutlich nicht gehalten werden kann. Zum Beispiel fehlen dem Bund die gesetzlichen Befugnisse, um eHealth landesweit einzuführen. Dafür sei eine Verfassungsänderung notwendig, sagte Salome von Greyerz vom Bundesamt für Gesundheit (BAG). «Das Inkrafttreten entsprechender Gesetze vor 2015 ist selbst bei grössten Kraftanstrengungen aller Beteiligten nicht realistisch.» Jedoch werde der Bundesrat vermutlich noch in diesem Jahr über erforderliche Revisionen im Zusammenhang mit eHealth entscheiden, stellte von Greyerz in Aussicht. Parallel dazu würden von der Expertengruppe eHealth verbindliche Standards definiert und Zertifizierungen erarbeitet.
Wie Politik, Gesundheitswesen und Wirtschaft die digitale Krankenakte einführen wollen, lesen Sie auf der nächsten Seite.
In einem unveröffentlichten Zwischenbericht zum ePatientendossier für den Bundesrat stellt das Expertengremium eHealth klar, dass es voraussichtlich keine verbindliche gesetzliche Verpflichtung zur Nutzung der digitalen Krankenakte geben wird. BAG-Expertin von Greyerz sprach von der «doppelten Freiwilligkeit», was heisst, dass ab dem Jahr 2015 weder die Patienten noch die Behandelnden ein digitales Patientendossier führen müssen.
Obligatorisch oder freiwillig
Für den Fall, dass die «doppelte Freiwilligkeit» in Gesetzesform gegossen wird, befürchten die Kantone eine zu geringe Akzeptanz der elektronischen Patientenakte. Regierungsrätin Heidi Hanselmann, Vorsteherin des Gesundheitsdepartements des Kantons St. Gallen, forderte zumindest eine Verpflichtung der Spitäler.
Helsana-Chef Daniel Schmutz betonte die Bedeutung von eHealth auch für administrative Prozesse. Daraus würde resultieren, dass Verweigerer des ePatientendossiers sowohl auf der Seite der Patienten als auch der Seite der Behandelnden längere Wege und auch höhere Kosten in Kauf nehmen müssten. Sein Unternehmen plädiere für Anreizsysteme, um die Akzeptanz der digitalen Krankenakte zu erhöhen.
Judith Wagner, Leiterin eHealth beim Ärzteverband FMH, stimmte zu, dass zur Verbreitung von eHealth das Angebot von Anreizen unabdingbar ist. «Die doppelte Freiwilligkeit ist entscheidendes Erfolgskriterium für das Patientendossier», legte Wagner jedoch auch dar. Anderenfalls bestünde die Gefahr, dass das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt sowie Patient gestört werde und damit die Sicherheit leide.
Aus der Praxis für die Praxis
Fridolin Marty vom Industrieverband economiesuisse betonte schliesslich die Wichtigkeit der Regulierung der eHealth-Vorhaben durch verantwortliche Stellen. Nur so könne für die Wirtschaft Investitionssicherheit geschaffen werden. Um Verfahren zu beschleunigen, könne das Projekt «e-toile» im Kanton Genf als Vorbild dienen.
Das dortige Gesundheitsportal ist eine Kooperation zwischen dem Kanton sowie der Post. Es dient dem Erproben von eHealth-Anwendungen in der Praxis. Dafür sind rund 200 Gesundheitsakteure beteiligt, darunter das Universitätsspital Genf. Ab Herbst sollen 30000 Patienten aus den Genfer Stadtteilen Bernex, Confignon, Onex und Petit-Lancy für den Modellversuch gewonnen werden.
Über den hohen Nutzen von «e-toile» und Projekten in anderen Kantonen für den Fortschritt beim eHealth waren sich die Vertreter aus Politik, Gesundheitswesen und Industrie am «eHealthCare.ch»-Kongress einig. Jedoch ist auch das Genfer Modell hinter dem ursprünglichen Zeitplan zurück. «Die Vernetzung der Akteure und das Erstellen der Infrastruktur ist aufwändig», heisst es als Begründung in der Juli-Ausgabe der Personalzeitung «Die Post».



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