20.06.2016, 12:13 Uhr

InsurTechs bedrohen Schweizer Versicherer

Fast jeder zweite Schweizer Versicherungskonzern ist durch das schwierige wirtschaftliche Umfeld, mehr Regulierung und nicht zuletzt Start-ups aus dem InsurTech-Bereich gefährdet.
Die Schweizer Versicherungskonzerne blicken offenbar zu optimistisch in die Zukunft. Das Beratungsunternehmen EY sieht die Zukunft weit weniger rosig. In einer Studieführen die Experten drei Gründe an: das schwierige ökonomische Umfeld, die zunehmende Regulierung und neue Wettbewerber wie branchenfremde Unternehmen oder Start-ups. EY glaubt, dass bis 2030 im besten Fall 30 Prozent, im schlechtesten Fall 70 Prozent der Schweizer Versicherer vom Markt verschwunden sein könnten.

Sehr gut versicherte Schweiz

Die Versicherungskonzerne würden heute noch mit jährlich fünf Prozent Wachstum rechnen. Dabei verkennen sie, dass der Markt gesättigt ist. Die Versicherungsausgaben hierzulande betragen 7267 Franken pro Haushalt und Jahr, so EY. Nur Luxemburg gibt mehr Geld aus. Die sinkenden Haushaltsvermögen in der Schweiz, der starke Franken und das stagnierende Bruttoinlandsprodukt würden die Nachfrage nach Versicherungen zusätzlich dämpfen.  Hinzu komme, dass die Wohnbevölkerung durch die Masseneinwanderungsinitiative wahrscheinlich nicht weiter wachsen werde. Bis anhin sei Zuwanderung ein wichtiger Treiber für das Versicherungsgeschäft gewesen. Daneben wird das regulatorische Umfeld schwieriger. Politische Vorstösse wie die «Altersvorsorge 2020» drohen die Umsätze zu bremsen. Gleichzeitig würden neue Vorschriften wie der Common Reporting Standard, Solvency II und der Swiss Solvency Test für steigende Kosten sorgen. Die Diskrepanz zwischen den Unternehmenszielen einerseits der und prognostizierten Marktentwicklung andererseits wird zu weitreichenden Veränderungen führen. EY sieht zwei Alternativen: die Kooperation mit Konkurrenten oder die Verdrängung. 

Tesla als Wettbewerber

Eine weitere Bedrohung entstehe durch branchenfremde Konzerne und Start-ups aus dem InsurTech-Bereich: Sie hätten das Potenzial, erhebliche Marktanteile zu gewinnen. Bis 2030 sei es denkbar, dass bestehende und neue Konkurrenten gemeinsam bis zu 70 Prozent der bisherigen Versicherungsunternehmen verdrängen. «Diese Entwicklung ist durchaus wahrscheinlich, das hat sich in anderen Branchen gezeigt», sagt Achim Bauer, Partner und Leader Insurance Sector bei EY Schweiz. «Als der Mobiltelefonmarkt stagnierte, traten neue Konkurrenten auf, mit dem Resultat, dass sich alle zuvor führenden Hersteller zurückziehen mussten. Vergleichbare Veränderungen stehen dem Versicherungsmarkt bevor.» Nächste Seite: Entscheid im letzten Moment Die neuen Technologien haben die Position der Konsumenten sprunghaft verbessert: «Auch Schweizer Konsumenten werden in Zukunft vermehrt versuchen, die Ausgaben für ihren Versicherungsschutz zu optimieren», sagt Yamin Gröninger, Studienleiterin und Director bei EY Financial Services Schweiz. Das Preisbewusstsein steige, die Loyalität nehme ab. Das Versicherungsgeschäft entwickele sich zu einem Consumer-to-Business-Modell (C2B). «Kundennähe, genaue Kenntnisse und schnelles Adressieren der Bedürfnisse werden zu Kernkompetenzen», sagt sie.  Die Versicherungen müssen realisieren, dass es in fast allen Geschäftsbereichen mindestens einen Anbieter gibt, der die Kunden besser kennt als sie selbst. Gröninger nennt die Motorfahrzeugversicherungen als Beispiel: Hier seien die Autohersteller genau orientiert über die Bedürfnisse ihrer Kunden – ganz im Gegensatz zu den Versicherungen.

«Der letzte Moment»

EY sieht die Zeit zum Handeln im Schweizer Versicherungsmarkt gekommen. Die Berater schlagen vor, entweder auf Skalierbarkeit setzen, um Preisvorteile zu generieren. Alternativ böten sich Partnerschaften mit InsurTechs an, um das Innovationspotenzial zu nutzen. Die dritte Variante seien massgeschneiderte persönliche Services, bei denen die neuen digitalen Wettbewerber nicht mithalten können. Die am wenigsten attraktive Option ist wohl, wenn sich die Versicherungen darauf beschränken, als reiner Zulieferer für einen branchenfremden Konzern zu agieren. Die Berater mahnen bei der Entscheidung aber zur Eile: «Nun ist der letzte Moment für die Versicherer, ihre Strategien zu überdenken und Klarheit über die eigenen Stärken zu gewinnen. Auf diese Kompetenzen sind sämtliche Aktivitäten zu fokussieren», sagt Bauer.



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