Wired-Gründer 01.12.2016, 14:30 Uhr

«Google und Facebook sind Phänomene, die vorüber gehen»

Kevin Kelly ist 64 Jahre alt und digital-affiner als so mancher 20-Jährige. Kein Wunder. Der Gründer des Wired Magazines begleitete das Web von der Pike auf und gilt als Visionär. Wir trafen Kelly zum Interview in London.
«Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen»: Die oft zitierte Floskel des dänischen Physikers Niels Bohr kommt der Digital-Branche sehr gelegen. Denn es gibt kaum einen Experten auf dem Markt, der es wagt, 10, 20 oder 30 Jahre in die technische Zukunft zu blicken. Gerne beschränkt man sich auf das kommende Jahr und ist oft bereits dann schon mit profunden Prognosen überfordert. Kein Wunder - entwickelt sich doch alles, was in irgendeiner Weise mit dem Thema Internet zu tun hat, so rasant schnell, dass selbst «Digital Natives» kaum mehr hinterherkommen. Kevin Kelly ist da anders. Der 64-Jährige hat kein Problem damit weit über den Horizont hinauszublicken. Er kann genauestens sagen, wie wir uns im Jahr 2046 verhalten, wie wir zahlen, wie wir arbeiten, wie wir kommunizieren. Er gilt als Visionär, als einer, der das Internet aktiv mitgestaltet hat, der schon mit Bits und Bytes jonglierte als andere gerade das Fernsehen für sich entdeckten. Wir trafen den Gründer des Wired Magazines auf der Quantcast-Konferenz «Supernova» in London und sprachen mit ihm über Online-Werbung, Technik-Verweigerer, Digitale Bildung - und natürlich die Zukunft. Computerworld: Wie Sie in Ihrem Buch «The Inevitable» erklären, gibt es für Sie zwölf unvermeidbare technologische Entwicklungen, die die nächsten 30 Jahre beeinflussen werden. Welche ist für Sie die dominanteste und disruptivste von allen? Kevin Kelly: Wenn es um einen Zeitraum von 25 Jahren und mehr geht, ist das für mich ganz klar Künstliche Intelligenz (KI). Für mich wird das Thema nicht überwertet, wie viele behaupten. Ich glaube aber, dass Künstliche Intelligenz in den nächsten fünf Jahren noch keine so dominante Rolle spielen wird. Danach jedoch wird sie wie die Elektrizität aus unserem Leben nicht mehr wegzudenken sein. KI wird alle Bereiche beeinflussen, von Entertainment über Sport und Essen bis hin zu Bildung und Gesundheit. Computerworld: Aktuell sind Google, Facebook, Amazon und Co diejenigen, die die Digital-Branche dominieren. Glauben Sie, dass das in 10, 20 oder 30 Jahren immer noch so sein wird? Kelly: Das ist unwahrscheinlich. Viele dieser Phänomene, die wir im Moment erleben, werden vorüber gehen. Ich glaube also nicht, dass die genannten Player in 20 oder 30 Jahren noch so einen Erfolg haben werden. Aktuell sind sie auf der Höchstphase ihres Erfolges, sie werden aber Probleme bekommen, genauso wie Microsoft oder IBM. Google, Facebook und Co. werden nicht verschwinden Sie werden nicht komplett verschwinden. Das ist keine Frage. Aber sie werden stark an Macht verlieren und nicht mehr so dominant sein, wie sie es jetzt sind. Die nächsten fünf bis zehn Jahre werden Google, Facebook und Co. noch stark sein, aber nur deswegen, weil sie so viele Daten besitzen. Sie haben aktuell die Macht über «big data» - und noch ist das essentiell für KI-Systeme. Menschen hingegen brauchen «big data» nicht. Und wir brauchen auch bald keine riesigen Datenansammlungen für KI mehr. Denn die nächste Revolutionsstufe wird jemandem gehören, der es schafft, KI-Systeme zu entwickeln, die mit «smart data» und «small data» funktionieren. Firmen, die das können, werden disruptiv sein. Sie können Google und Amazon überwältigen. Computerworld: Gibt es für Sie keine Firmen, die jetzt schon mit Google und Co in den Wettbewerb treten können? Kelly: Nein. Es gibt zwar viele Versuche, aber keiner weiss aktuell wie es wirklich geht und was man wirklich anstellen muss, um dagegen anzukommen. Computerworld: Sie gehen ja grundsätzlich sehr optimistisch und hoffnungsvoll an das Thema «Technik der Zukunft» heran. Sie sagen, wir müssen keine Angst vor Technik haben - auch wenn diese unser ganzes Leben bestimmen wird. Nun gibt es aber ja auch Menschen, die keinen Amazon Echo im Wohnzimmer wollen. Menschen, die sich nicht auf eine Zukunft mit Künstlicher Intelligenz freuen. Was ist mit diesen Leuten? Kelly: Natürlich gibt es die. Die wird es auch immer geben. Ich komme in den USA hin und wieder mit den Amischen in Kontakt, einer täuferisch-protestantischen Glaubensgemeinschaft, die quasi ohne Technologie lebt. Und die leben gut so. Mit diesem Beispiel will ich sagen: Jeder Mensch hat die Wahl. Das wird auch in Zukunft so sein. Ich kann jederzeit bewusst sagen, dass ich eine Auszeit, ein Sabbatical etwa, will. Technologie sollte in erster Linie unser Leben erleichtern. Auch als Digital Native, als technik-affiner Mensch, muss man ständig eine Wahl treffen. Ich kann nicht auf Facebook und Twitter und Instagram und so weiter gleichzeitig sein. Zumindest nicht, wenn ich alle Kanäle gleichermassen gut bedienen möchte. Und das wird auch in 30 Jahren so sein. Ich muss mich für die Technik entscheiden, für die Kanäle, die mir persönlich helfen und die ich brauche. Es geht also auch in Zukunft nicht darum, alle Spielarten der Technik zu nutzen. Das wird für einen Einzelnen nie möglich sein. Nächste Seite: «Gegen den Strom denken» Computerworld: Wenn wir über die digitale Zukunft sprechen, müssen wir auch darüber sprechen, wie wir News und Inhalte konsumieren werden. Wie wird das künftig aussehen? Kelly: Ja, das ist eine gute Frage. Dahinter steckt vor allem die Überlegung, wie werden die Publisher in Zukunft Geld verdienen. Aktuell konsumieren viele, glaube ich, ihre Inhalte über Facebook und Twitter - hier ja oftmals quasi in Echtzeit. Alle aktuell verfügbaren Kanäle sind für mich aber nicht verlässlich genug, um langfristig Bestand zu haben. Ich denke, wir brauchen für die Zukunft ein neues Netzwerk, eine neue Social Community, in der wir so etwas abfangen können. Computerworld: In der Schweiz hat man oft das Gefühl, ohne Praktika, Auslandserfahrung und Universitätsabschlüsse in der Digital-Branche nur schwer Fuss fassen zu können. Sie selbst haben keinen College- oder Universitätsabschluss und können dennoch eine brillante Karriere im Digital-Business vorweisen. Was braucht man also für den Erfolg? Kelly: Natürlich sehe ich es als CEO einer Firma gerne, wenn mein neuer Mitarbeiter zehn verschiedene Titel aufweisen kann und viel über die Themen weiss. Aber man muss sich auch fragen: Hilft mir das wirklich weiter? Ich glaube, man braucht heute wie auch in Zukunft in der Digital-Branche Leute, die anders denken. Das ist das Wichtigste, das man mitbringen kann. Die Fähigkeit, gegen den Strom zu denken und zu handeln, Dinge zu wagen, die auf den ersten Blick unmöglich scheinen und den Mut aufzubringen, gegen lang eingefahrene Denkweisen der Firma anzugehen. Das kann einem keine Universität der Welt lehren. Insofern glaube ich: Abschlüsse und Titel sind unwichtig. Computerworld: Sie begleiten die Internet-Branche seit langem, sind von der Pike auf mit dabei. Was haben Sie im Laufe der Jahre gelernt, was war die wichtigste Entwicklung für Sie? Kelly: Ich habe gesehen und gelernt, dass der Computer alleine nicht viel verändert hat. Er hat erst dann die Welt und die Generationen verändert, als er mit anderen Computern und damit Nutzern zusammengeschlossen wurde und mit den Menschen «zusammengearbeitet» hat. Das gleiche gilt auch für Handys und Smartphones oder die Künstliche Intelligenz. Die Technik alleine ist spannend, interessant und hilfreich. Richtig zum Tragen kommt sie allerdings erst dann, wenn KI in der Cloud eingesetzt wird und die Menschen verbindet. Also schlussendlich ist es nicht die Technik, die alles ändert. Es ist immer die Kommunikation. Computerworld: Sie surfen viel im Internet und werden natürlich auch mit digitaler Werbung konfrontiert. Wie gehen Sie damit um und was halten Sie von Bannern und Co? Kelly: Also zunächst einmal ist es so, dass ich sie toleriere und auch keinen Adblocker oder ähnliches installiert habe. Allerdings bin ich kein Freund der Werbung. Ich schaue zum Beispiel kein Fernsehen, weil mich die Werbeblöcke nerven. Nur den Superbowl hab ich lustigerweise einmal angeschaut, weil ich den Werbezirkus sehen wollte. Sie sehen, ich bin da etwas inkonsequent. Die New York Times lese ich wieder regelmässig - trotz Anzeigen. Computerworld: Wie sollte denn die Online-Werbung aussehen, dass Sie Ihnen wieder gefällt? Kelly: Werbung muss smart und zweckmässig sein. Sie muss hilfreich sein und dem Nutzer Unterstützung und Antworten geben. Ich habe nichts gegen Werbung und bin auch Google beispielsweise gegenüber offen. Aber mein grosses Plädoyer an alle Beteiligten ist: Macht Anzeigen smarter und wieder interessant für Leser. Als ich 1993 das Wired Magazin gegründet habe, haben die Leute die Zeitung nur wegen der Werbung gekauft. Denn die Unternehmen haben extra Anzeigen nur für uns, für Wired, erstellt. Das wollten die Leute einfach sehen. Heute ist das fast undenkbar. Meine Idee wären eine Art user generated Ads. Die Nutzer kreieren Werbung für Unternehmen oder Leute, die kein Geld für Werbung haben. So werden Anzeigen erstellt, die genau die Bedürfnisse der Leute treffen und viral werden. Eine schöne Idee, oder?



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