23.03.2015, 09:55 Uhr

Warum Big Data oft nutzlos ist

Viele Unternehmen sammeln Datenberge, ohne grosse Vorteile daraus zu ziehen. Sinnvoller wäre, Naheliegendes und seit Jahren Vorhandenes gezielter auszuwerten.
*  Christoph Lixenfeld ist freier Autor in Hamburg. Dieser Artikel wurde ursprünglich in unserer Schwesterpublikation CIO.de veröffentlicht.
Dass diese ganze Big-Data-Geschichte noch nicht so reibungslos läuft, wie es die Theorie und die gut an dem Hype verdienenden Anbieter versprechen, wurde Anfang Februar mal wieder durch eine ebenso schlichte wie intelligente Frage deutlich. Gestellt wurde sie von Helmut Krcmar auf den Hamburger IT-Strategietagen. Der Professor für Wirtschaftsinformatik an der TU München moderiert die Veranstaltung gemeinsam mit CIO-Chefredakteur Horst Ellermann. Die Frage lautete: «Warum wird mir im Internet noch wochenlang nach dem Kauf eines Rollkoffers Rollkofferwerbung angezeigt?» Vermutlich hatten sich fast alle Zuhörer im Saal diese Frage schon mal gestellt. Entsprechend gespannt waren sie auf die Antwort. Die dann wenig befriedigend ausfiel: «Die Technologien werden immer besser, aber wir sind hier noch in den Anfängen», sagte Daniel Keller, CIO des Axel Springer-Verlags. Targeting, das Aufzeichnen, Speichern und Sortieren jener Spuren, die Millionen von Kunden und potentiellen Kunden bei ihrer Reise durch das Internet hinterlassen, ist eine klassische Big Data-Anwendung. Wobei das Prinzip an sich älter ist als der Begriff. «Noch in den Anfängen zu sein» bedeutet deshalb weniger, dass die Macher erst in der vergangenen Woche angefangen haben. Sondern es heisst, dass auch nach jahrelangen Bemühungen datengetriebene Businessmodelle nicht so einfach funktionieren wie ein Zigarettenautomat, in den wir oben passendes Geld einwerfen und unten kommt genau das gewünschte Ergebnis - sprich die richtige Packung - heraus. Die Sache mit dem Rollkoffer liegt vermutlich an der unter Maschinen weit verbreiteten «Algorithmusschwäche», also aus der Unfähigkeit, aus vielen gesammelten Informationen die richtigen Schlüsse zu ziehen. Davon abgesehen sind es vor allem zwei Gründe, die dazu führen, dass Unternehmen nicht oder nicht genug von Big Data profitieren. Der erste: Sie kommen mit Hilfe von Datenanalyse zu Ergebnissen, die sie auch mit nicht ganz so big Data hätten haben können.

Vieles nicht in der Praxis umsetzbar

Die Harvard Business Reviewberichtet in diesem Zusammenhang von einem Finanzdienstleister, der mit Hilfe grosser Datenmengen Modelle entwickelt hatte, mit denen sich der beste Platz für das Aufstellen von Geldautomaten ermitteln lässt. Nachdem sie damit fertig waren, stellten die Verantwortlichen durch einen Hinweis fest, dass es solche Modelle bereits seit Jahren gibt? Der zweite: Big Data produziert Ergebnisse und Ideen, die sich aus was für Gründen auch immer in der Praxis nicht umsetzen lassen. So hatte ein grosser US-Einzelhändler bei einem Modellversuch festgestellt, dass die Verkäufe ansteigen, wenn man ein Sonderangebotsprodukt schon eine Weile vor seiner Verbilligung in die Regale räumt und auch noch dort lässt, wenn der Angebotspreis nicht mehr gilt. Um diesen Grundsatz aber in sämtlichen Filialen zu verwirklichen, hätte das Unternehmen seine gesamte Lieferkette umkrempeln müssen. Das wollte beziehungsweise konnte man nicht. Also war am Ende die Datenanalyse an dieser Stelle nutzlos. Es geht nicht darum, möglichst aufwändig und umfangreich Daten auszuwerten und sich anschliessend zu überlegen, was man damit machen will. Sondern darum, vorhandenes Wissen statt Bauchgefühl zur Grundlage von Entscheidungen zu machen. Lesen Sie auf der nächsten Seite: Für Wäsche, Süsskartoffeln und Erdnüsse

Für Wäsche, Süsskartoffeln und Erdnüsse

«Big» muss dieses Wissen, müssen die Daten dabei nicht unbedingt sein. Im Gegenteil. David Meer, Partner bei strategy& (ehemals Booz & Company), findet dass «auch Little Data wichtig ist.» Und er nennt ein verblüffendes Beispiel: Der chinesische Haushaltsgeräte-Hersteller Haier nutzt den Input seiner Servicetechniker zur Innovation. Die hatten berichtet, dass einige Kunden in ländlichen Gegenden Gemüse in den Haier-Waschmaschinen wuschen, wodurch das Sieb sehr schnell verstopfte. Anstatt davor zu warnen, entwickelte Haier eine neue Maschine, die mit dem Gemüse klarkam, und schrieb auf das Typenschild: «Geeignet für das Waschen von Wäsche, Süsskartoffeln und Erdnüssen.»

Little und Big Data kombinieren

Little Data eben. Oder eine intelligente Kombination aus Little und Big Data, wie sie sich ein grosser US-Getränkehersteller zunutze machte. Um den Umsatz in Bars und Restaurants zu erhöhen, teilte er diese Kunden mit Hilfe eines datengestützten Algorithmus in unterschiedliche Kategorien ein. Anschliessend fragten sie zu den einzelnen Kategorien gezielte, klassifizierte Informationen bei ihren Aussendienstlern ab. Beides zusammen ergab ein recht genaues Bild davon, wo es sich in Zukunft am meisten lohnte, mit Hilfe von Promotion-Massnahmen den Umsatz zu pushen. Und dieses Ziel erreichte das Unternehmen am Ende auch.

Big Data ist vor allem Big Business

Was auch niemand, der sich mit dem Thema beschäftigt, vergessen sollte: Big Data bedeutet vor allem Big Business. Anbieter haben einen Produktnamen erfunden, der sich nach Big Deal, Big Bang, Big Brother, auf jeden Fall nach was Grossem, Mächtigen und noch nie Dagewesenen anhört. Gerade das zuletzt genannte Attribut stimmt nicht: Fast alles, was heute unter Big Data verkauft wird, ist viel älter als der Name. Ein gutes Beispiel bietet das Duisburger Unternehmen Union Technik, ein Full Service- Anbieter für technisches Gebäudemanagement mit dem Schwerpunkt auf Tankstellen.
Um Geld zu sparen und mehr Kunden bedienen zu können, stattete Union Technik alle Fahrzeuge mit GPS-Empfängern aus. Seitdem wusste die Zentrale bis auf 30 Meter genau, wo sich ein bestimmter Mitarbeiter (beziehungsweise sein Auto) gerade befand. Dadurch konnte sie immer denjenigen zu einem Kunden schicken, der den kürzesten Anfahrtsweg hatte. Ein enormer Effizienzgewinn. Der nächste Schritt bestand darin, die Aussendienstler vor jedem Auftrag mit möglichst detaillierten Informationen über das zu versorgen, was repariert werden soll. Es entstand eine internetbasierte Datenbank, in der alle Gerätebestandsdaten und ihre Attribute verzeichnet sind. Dadurch wusste der Mitarbeiter am Telefon bei jeder gemeldeten Störung sofort, um welches Gerät es sich handelt und was vermutlich kaputt ist. Das Verfahren ermöglichte eine erheblich genauere Planung der Ersatzteilversorgung, die Lagerhaltungskosten sanken deutlich. Und nicht nur die Planung, auch die Organisation der Service-Einsätze automatisierte man vollständig. Alle Informationen über einen Auftrag wie Adresse des Kunden oder die Art der Störung wurden vom System an den «Mobilen Techniker» gesandt.

Big Data schon vor 13 Jahren

Mit Hilfe dieser Mischung aus PDA und Tablet-PC organisierte jeder Mitarbeiter seine Arbeit. In jedem der mobilen Computer waren die wichtigsten Gerätedaten hinterlegt. Zusätzlich konnten sich die Mitarbeiter von Unterwegs auch direkt in die zentrale Datenbank einloggen. Ein ziemlich schlaue Big Data-Anwendung, finden Sie? Stimmt. Deshalb gewann das Unternehmen damit auch den Deutschen Internetpreis. Und zwar im Jahre 2002. Zu einer Zeit also, als der Name Big Data noch nicht mal in der US-Öffentlichkeit verwendet wurde - von Deutschland gar nicht zu reden. Und heute? Heute sind die Big Data-Macher natürlich viel weiter. Sie sind nicht nur in der Lage, jedem Rollkofferkäufer im Internet wochenlang weitere Rollkoffer anzubieten. Nein, sie können inzwischen auch demjenigen, der gerade einen Flug von Hamburg nach Düsseldorf und zurück gebucht hat, sofort ein passendes Hotel in Hamburg zu offerieren. Obwohl er durch seine Adressangabe gerade mitgeteilt hat, dass er dort wohnt. Noch mehr über Big Data



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