30.11.2016, 15:00 Uhr

Erfolgsrezepte für Onlineshops

Immer mehr Kanäle und wachsende Konkurrenz aus dem Ausland machen Schweizer Onlinehändlern zu schaffen. Doch sie wissen, wie sie bestehen wollen.
Die Kunden werden anspruchsvoller, die Konkurrenz härter. Denn auch für globale E-Commerce-Grössen ist der kaufkräftige Schweizer Markt plötzlich hochinteressant. Das setzt viele einheimische Onlinehändler unter Druck. E-Commerce muss heute weitaus mehr bieten als einen ansprechenden Shop mit guten Produkten und Dienstleistungen. Egal, ob B2B oder B2C: Die Onlineangebote müssen gut strukturiert und SEO-optimiert sein, ausserdem zum Einkaufen einladen, statt abzuschrecken. Am besten sind sie auch noch mit guten Storys gespickt und mit User-Communitys ausgestattet.

Gefragt sind kanalübergreifende Geschäftskonzepte, ein attraktives Preis-Leistungs-Verhältnis sowie barrierefreies und gebührenarmes Payment, auch mit Mobile-Payment-Lösungen. Und auch die Logistik spielt für den Erfolg im E-Commerce eine tragende Rolle. All das kostet Geld und Ressourcen. Sind die Schweizer Händler bereit, beides zu investieren?
Noch sind viele zufrieden: «Der Bereich E-Commerce entwickelt sich bei Manor sehr gut und ist ein wichtiger Wachstumsträger», sagt Manor-Mediensprecherin Elle Steinbrecher. Nicht nur bei Manor macht der Onlinehandel einen immer grösseren Teil des Gesamtumsatzes aus: 6,7 Milliarden Franken haben in der Schweiz allein die Consumer im letzten Jahr für online bestellte Waren ausgegeben. Das sind 9,8 Prozent mehr als im Vorjahr und laut Marktforscher GfK 7 Prozent des Gesamtvolumens des Schweizer Detailhandels 2015.

Druck aus dem Ausland

Doch die Onlineshops geraten zunehmend durch ausländische Anbieter unter Druck. Diese wachsen laut dem E-Commerce-Branchenportal Carpathia im Vergleich zu den einheimischen überproportional. Amazon, Zalando & Co. könnten also hiesige Shops bald verdrängen, wenn diese sich nichts einfallen lassen. Mit Alibaba taucht zudem aus China ein neuer, gigantischer Konkurrent auf. Bereits 2015 lieferte die Schweizerische Post 2,5 Millionen chinesische Kleinwarensendungen aus, dieses Jahr wird es ein Vielfaches davon sein. Erschwerend zum völlig ungleichen Preisniveau kommt hinzu, dass China vom Weltpostverein den Status eines Entwicklungslandes erhalten hat. Anbieter wie Alibaba zahlen daher bis zu viermal weniger für die Zustellung ihrer Ware als Schweizer Händler. Das ist oft derart wenig, dass die Schweizerische Post sogar draufzahlen muss. «Wie die meisten Schweizer Anbieter leiden wir unter der Kombination von zunehmender Globalisierung und der Frankenstärke: Wegen der aktuellen Weltpostverträge kann ein Produzent aus China seine Ware günstiger verschicken als wir – und spart auch noch bei Mehrwertsteuer und Zoll», bestätigt Isabelle Zehnder, Leiterin Marketing bei Betty Bossi.

Konkurrenz zwingt zum Handeln

Im E-Commerce-Report Schweiz 2016 der Hochschule für Wirtschaft/Institut für Wirtschaftsinformatik der FHNW gab die Mehrheit der befragten Onlinehändler an, dass der Marktanteil ausländischer E-Commerce-Anbieter in ihrer Branche in den nächsten Jahren stark steigen und sich der Wettbewerb gesamthaft verschärfen werde. Vor allem der Preis- und Logistikwettbewerb bereitet vielen Sorgen. Nächste Seite: Kräfte bündeln «Noch vor fünf Jahren war die vorherrschende Meinung, dass der Schweizer Markt für ausländische Player nicht interessant sei», sagt Benoit Henry, zum Zeitpunkt des Gesprächs CEO von DeinDeal (Henry hat das Unternehmen mittlerweile verlassen). Dann sei Zalando in die Schweiz gekommen und habe allen das Gegenteil bewiesen. Seither würden grosse ausländische Unternehmen wie die französische Shopping Community Vente-privee, das amerikanische Touristikportal TripAdvisor oder das britische Beauty-Portal Treatwell immer aggressiver in den Schweizer Markt drängen. «Diese veränderte Konkurrenzsituation stellt uns selbstverständlich vor neue Herausforderungen», so Henry.

Eine Möglichkeit, diese zu meistern, ist es, seine Kräfte zu bündeln. Durch die seit Juni 2016 offizielle Fusion von DeinDeal und MyStore will Besitzer Ringier Synergien nutzen. Um besser und innovativer zu sein als die Konkurrenz, müsse man sich auch als Marketingservice für Lieferanten und Dienstleistungspartner stetig weiterentwickeln. Henrys Ziel: Sich klar als der Schweizer Flash-Sales-Anbieter zu positionieren und die erste Adresse für «Smart Shopper» zu werden. Im Gegensatz zu den Schnäppchenjägern früherer Zeiten, sucht diese Zielgruppe gezielt nach den besten tagesaktuellen (Flash-)Angeboten für hochwertige Markenartikel.

«Die grösste Herausforderung sind die hohen Investitionen der grossen, weltweit global tätigen E-Commerce-Händler in technische Innovationen», sagt Daniel Augustin, Leiter E-Commerce & Digitales Lesen von Orell Füssli Thalia. Dementsprechend legen sie eine sehr hohe Entwicklungsgeschwindigkeit vor. Zusätzlich konzentriere sich der Markt immer mehr auf einige wenige internationale Anbieter. Ein Trend, den viele Schweizer Onlinehändler beobachten.
Wie das Unternehmen darauf reagiert? Aktuell werden laut Augustin die Omnichannel-Services, inklusive Beratungskompetenz, intensiv ausgebaut. Stationäre Filialen werden mit Webshop und mobilen Lösungen verbunden, was verschiedene Mischformen von Kaufprozessen ermöglichen und den veränderten Kaufgewohnheiten der Kunden entsprechen soll. «Auch online geniessen Beratungsleistungen hohe Priorität», so Augustin. Nächste Seite: Sicherheit und kontinulierliche Weiterentwicklung

Thema Sicherheit

Das Onlinegeschäft steht aber auch noch anders unter Druck, Stichwort Betrug: «Momentan beschäftigen wir uns im Onlinebusiness vor allem mit versuchten Betrugsfällen und versuchen diese bestmöglich unter Kontrolle zu halten», sagt Prisca Huguenin-dit-Lenoir, Kommunikationsleiterin & Mediensprecherin Hotelplan Suisse.
Um die versuchten Betrugsfälle zu minimieren, optimiere Hotelplan kontinuierlich die Zahlungsmodalitäten, ohne dabei die Conversion zu verhindern oder dem Kunden unnötige Hürden beim Kauf in den Weg zu legen, erklärt Huguenin-dit-Lenoir. «Leider können wir aus Schutz für unsere Kunden nicht ausführlicher Details dazu öffentlich kommentieren. Um unser Verbesserungspotenzial zu steigern, sammeln wir Daten, veredeln diese und verbessern damit den Output (Customer-Experience).»

Laufend weiterentwickeln

«Wir sehen beim Onlinebusiness vor allem das nach wie vor sehr grosse Potenzial», sagt Ricardo-CEO Bodo Kipper. «Dieses erkennen natürlich auch andere Anbieter und damit nimmt die Konkurrenz sowohl national als auch international zu», bestätigt er. Die Bemühungen von ricardo.ch würden sich daher primär an den Bedürfnissen der Kunden ausrichten. Das Produkt und die zugrundeliegende Technik müssen laufend und mit steigendem Tempo weiterentwickelt werden, so Kipper. Eine Erkenntnis, mit der er nicht allein dasteht. «Langfristig werden nur jene Onlineunternehmen erfolgreich sein, die ihre Produkte konsequent auf die Bedürfnisse der Kunden und User ausrichten, mit der Zeit gehen und Innovationen mit hoher Geschwindigkeit vorantreiben», sagt auch Olivier Rihs, CEO von Scout24 Schweiz. Es geht also um Kundennähe und schnelle Weiterentwicklung, aber auch um Synergien. Die Anzeigenmarktplätze bei Immo-, Auto- und MotoScout24 sowie anibis.ch, alles Portale der Scout24-Gruppe, würden immer stärker vernetzt und auf die Nutzung mobiler Geräte ausgelegt.
Die Entwicklungsabteilung arbeite gemäss Lean-Ansatz mit agilen Methoden, und die Marketingaktivitäten seien konsequent auf Performance ausgerichtet, erklärt Rihs. «Ziel ist es, die verschiedenen Anspruchsgruppen clever miteinander zu verbinden und ihnen den grösstmöglichen Nutzen zu bieten», so der Scout24-Chef. Dazu seien vor allem gut ausgebildete Mitarbeitende nötig – ak­tuell eine grosse Herausforderung. Nicht nur in der Schweiz, sondern weltweit sind Software-Ingenieure und Online­spezialisten sehr gesucht.

Ökosystem anbieten

Es gibt aber offensichtlich immer noch Platz für neue Player auf dem heimischen Markt. Hierzulande fehle teilweise ein funktionierendes E-Commerce-Ökosystem, wie es dies in UK, Frankreich, Deutschland oder auch den USA mit Agenturen, Dienstleistern und etablierten Kommunikations- und Datenstandards bereits gebe, erklärt beispielsweise Chris Hauth, CMO von Siroop. Die Plattform Siroop, die gerade mit Werbespots im TV auf sich aufmerksam macht, dient als Onlineshop für Onlineshops. Hier sind ein halbes Jahr nach dem Launch rund 230 Händler mit 360'000 Produkten vertreten, 1800 weitere stehen gewissermassen noch auf der Warteliste. «Sicherlich können wir uns noch im Bereich der schnellen, automatisierten Abwicklung und lückenlosen Abbildung der Prozesse von unseren Partnern zum Endkunden verbessern», so Hauth. Zudem will Siroop die User Experience weiter optimieren. Der Shop-Shop geht die Digitalisierung des Handels und seiner Partner durch eine neue Art von Plattform (Open Commerce) an. Durch offene APIs ermöglicht es der Marktplatz, Drittparteien an seine Software anzudocken und damit Kundenprozesse einfacher und schneller zu gestalten. «Diese APIs stehen auch Agenturen und Dienstleistern zur Verfügung, damit die Integration an und in Siroop für alle Schweizer Händler, egal ob klein oder gross, digital unerfahren oder Experte, einfacher möglich wird», erklärt Hauth. Die automatisierte Abwicklung der gesamten Kundenprozesse will Siroop über die Plattform und durch ein hauseigenes Logistiklösungspaket für E-Commerce-unerfah­rene Händler erreichen; der Händler erhält alles von der Vorwärts- bis zur Rückwärtslogistik. Nächste Seite: M-Commerce am Anfang

M-Commerce unterstützen

Die Nachfrage nach mobilem Shopping ist gross. Weltweit bereits rund 71 Prozent aller Onlineeinkäufe mobil getätigt (Media Consumption Forecasts, Zenith, Frühjahr 2016). In der Schweiz waren es letztes Jahr 25 Prozent, Tendenz stark steigend. Dennoch stellen viele Detailhändler noch keine mobilen Einkaufsmöglichkeiten übers Smartphone und Tablet zur Verfügung, so eine Studie der ZHAW. Bisher bieten vornehmlich die Grossen wie Apple, Swisscom, Amazon, Migros, Coop, SBB oder Swiss ausgereifte Lösungen im Bereich Mobile Commerce an. «Bei der Konzeption unseres Onlineshops gilt die Devise Mobile first, dementsprechend werden Funktionalitäten und das Responsive Design immer weiter verfeinert», erklärt Elle Steinbrecher von Manor. In der breiten Geschäftswelt ist M-Commerce hingegen noch nicht etabliert, und die wenigsten haben eine Strategie für mobiles Zahlen, mobile Coupons, mobile Apps etc. entwickelt. Technisch führende Einzelhändler sind fähig, Daten vom stationären Handel, von Onlineportalen sowie von mobilen und sozialen Medien zusammenzuführen und für die Optimierung ihrer Prozesse im Einkauf, den Lieferketten und im Marketing zu verwenden. M-Commerce setzt damit auch eine Neuorientierung im Marketing voraus. Speziell auf Mobile Commerce zugeschnittene Angebote wie elektronische Kundenkarten, Mobile-Payment-Lösungen und vor allem Shopping-Apps sind unverzichtbar. Sie vereinfachen nicht nur den Einkauf, die Conversion Rates bei Apps sind mehr als dreimal höher als bei mobilen Browsern und zweimal höher als beim Desktop. Das Einkaufen über mobile Geräte hat laut Zenith-Studie allerdings bisher nur sehr verhaltenen Einfluss aufs mobile Bezahlen beim E-Commerce. Mobile Payment wird in der Schweiz dafür noch kaum genutzt, bezahlt wird meist per Rechnung (81%), manchmal per Kreditkarte (13%), selten per Vorauskasse/Nachnahme (4%) und Debitkarte (2%).

Gezielt personalisieren

Neukundengewinnung ist für jeden E-Commerce-Betreiber ein Kernthema. Es lohnt sich jedoch, auch die Bestandskunden im Blick zu behalten. Konkret: Beim Kunden durch einen positiven Eindruck punkten und ihn für weitere Shopbesuche gewinnen. Kunden legen beim Einkauf nicht nur auf Komfort Wert, sondern auch auf eine clevere Personalisierung. Experten nennen das tiefe Verständnis der Gewohnheiten und der Motivation des Einkäufers Me-Commerce. «Als Onlineplayer, der in der Schweiz verwurzelt ist, fühlen wir uns den Anforderungen und Vorlieben der Schweizer Kunden besonders verpflichtet», sagt Ricardo-CEO Bodo Kipper. In genau diesem Punkt will sich Ricardo nächstes Jahr auch weiterentwickeln. Damit Anbieter ihre Kunden noch besser verstehen und Abbruchquoten im Web senken können, hat das Informatikforschungsteam der Hochschule Luzern zusammen mit dem Webdienstleister Arcmedia eine Software entwickelt, die der E-Commerce-Software beibringt, Auswahlkriterien von Kunden zu gewichten. Mit «PrefCom» (präferenzgesteuerte Produktsuche und Kundenprofilierung für E-Commerce-Anwendungen) können Kunden ihre Präferenzen formulieren, gewichten und variable Anfragen abgeben.
«Der Computer wägt die Angebote gegeneinander ab», erklärt Roland Christen, technischer Leiter des Projekts. Ein Produkt gewinnt gegen ein anderes, wenn es in keinem Attribut (z. B. Farbe, Grös­se, Form, Typ, Lage, Preis) schlechter und in mindestens einem besser ist. Dem Forschungsteam gelang es zudem, die präferenzbasierte Suche mit der Standarddatenbanksprache SQL durch sogenannte Block Nested Loops zu beschleunigen, damit Kunden nicht abspringen, weil die Anfrage zu lange dauert. Die neuen Algorithmen erkennen auch Ähnlichkeiten von Produkten, bieten Alternativen an und geben Empfehlungen, woraus sich ein Vorteil vor allem für kleinere Märkte wie den der Schweiz ergibt. PrefCom wird von der Kommission für Technologie und Innovation (KTI) unterstützt und ist ab Herbst 2017 erhältlich. Nächste Seite: Näher an den Kunden ran

Kanäle zusammenbringen

«Wir müssen uns weiter vom Denken in Kanälen entfernen und uns noch stärker auf die individuellen Bedürfnisse der Kundinnen und Kunden ausrichten» sagt die Betty-Bossi-Marketingchefin Isabelle Zehnder. Und das meint sie umfassend: «Beim Gebrauch der Geräte, auf unseren Blogs, in der Betty-Bossi-Zeitung und vor Ort bei Coop.» Die gerne propagierte Omnichannel-Strategie reicht allerdings nicht aus, um wettbewerbsfähig zu bleiben. «Die Präsenz auf allen Kanälen ist lediglich eine Grundvoraussetzung, um in Zukunft überhaupt erfolgreich sein zu können», sagt Dr. Florian Heidecke, Senior Principal Consultant und Partner beim Webdienstleister Namics. Auch der von vielen Unternehmen reflexartig eingeschlagene Weg des Webseitenrelaunches bringe für sich gesehen nichts, so Heidecke. Es müssten danach auch alle Onlinekanäle nahtlos ineinandergreifen.
«Die Keywords im Handel lauten Integration, Agilität, Echtzeitpersonalisierung», fasst Heidecke zusammen. Nur wer diese Parameter in integrierten Plattformen umsetze, schaffe eine konsistente Customer Journey. Auch bei Betty Bossi wird daran gearbeitet, die Daten besser zu verknüpfen. «Es braucht keine statischen Websites und Shops, sondern agile Prozesse und Plattformen», so Heidecke. Hier bedarf es eines optimalen Zusammenspiels von CRM, CMS und Shopsystem, dessen sich die IT annehmen muss.



Das könnte Sie auch interessieren