12.03.2015, 15:49 Uhr

Das Übernetz als Herausforderung für die Gesellschaft

Am GDI diskutierten Experten über die Herausforderungen der digitalen Revolution und der totalen Vernetzung. Eine Analyse.
«Was für ein Netz wollen wir morgen?» Mit dieser Frage eröffnete David Bosshart, CEO des Think-Tank Gottlieb Duttweiler Institut den 11. Europischen Trendtag im vollen Konferenzsaal in Rüschlikon. Diese Frage bewegt oder sollte die verschiedenen gesellschaftlichen Akteure bewegen. Obwohl viel über Technologie geredet wird, fehlt bei den Ausgestaltern von neuen Gesetzen und somit auch zukünftiger Gesellschaftsordnungen oft das Wissen über die Technologie. Und fügte provokativ an: Vermutlich hat genau ein Nationalrat in der Schweiz in dieser Hinsicht die Kompetenz, die richtigen Schlüsse zu ziehen. Es sind wohl noch ein paar mehr, aber seine überspitzte Aussage zeigt den Kern: Das Unwissen über die Auswirkungen der Vernetzung in all seinen Facetten nimmt zum Teil ignorante Züge an ? und scheint für den Autor schon fast pandemisch. Denn etwas ist gemäss Bosshart klar: Die Menschheit ist nicht in der Lage, eine Überintelligenz zu schaffen, da der Herdentrieb nach wie vor zu ausgeprägt ist. Somit überlassen wir die Zukunft ein paar wenigen Programmierern, die mit Intelligenz, Rechenpower, Algorithmen, Datenbanken und Sensoren ein perfektes Netz aufbauen wollen. Ein Übernetz, das schwerfällige Abläufe optimiert, bisherige Geschäftsmodelle für obsolet erklärt und in seiner dystopischen Auslegung Millionen von Jobs vernichtet. Dabei ist klar, wo im Moment die technologische Entwicklung den Takt angibt. Es ist das Silicon Valley, Europa und der Rest der Welt steht mehr oder weniger abseits. Ausser der deutschen SAP aus Walldorf gibt es keinen europäischen Player, die den Sirenen-Servern von Google, Facebook und Amazon paroli bieten können. Bleibt noch China, doch die Regierung beschäftigt lieber die fähigsten Programmierer in seiner Cyberwar- und Zensurabteilung, anstatt sich mit Freiheit und technologischem Fortschritt als Alternative gegenüber dem kalifornischen Hegemon auf der anderen Seite des Pazifiks zu definieren. So trainieren wir täglich Googles künstliche Intelligenz (AI) mit 12 Milliarden Suchanfragen. Wann Googles AI von der Leine gelassen wird, ist nicht klar. Aber Robotik und AI werden die grossen Themen der Zukunft sein. IBMs Watson hat schon erstaunliches vollbracht und Googles Roboter von Boston Dynamics lösen schwierige Aufgaben in bemerkenswerter Qualität. Verschiedene Zukunftsforscher sehen das Jahr 2045 als einen Referenzpunkt für eine fortgeschrittene AI, welche mit dem Menschen kommunizieren könnte. Elon Musk, Technikpionier und Gründer von Tesla scheint dies im Moment nicht geheuer: «With artificial intelligence, we are summoning the demon» sagte er noch im Oktober letzten Jahres an einer Veranstaltung. Auf der nächsten Seite: Wie soll dem Übernetz begegnet werden?

Wie soll dem Übernetz begegnet werden?

Antworten auf die Herausforderungen, konnten die verschiedenen Redner an der Veranstaltung nur bedingt geben. Zuerst sollten wir uns nicht so wichtig nehmen, meinte etwa Ted Chu, Tech-Visionär und Chief Economist IFC, World Bank Group. Er argumentierte mit Konfizius auf einer Meta-Ebene und meinte, da wir sowieso nur eine Übergangspezies auf dem grossen Evolutionsstrang sind, sollte die kosmische Freude überwiegen. Das ist natürlich gut gemeint, aber die Sorgen des Einzelnen sind natürlich real. Da wäre auf der einen Seite die Wegrationalisierung von Arbeitsstellen durch die Automatisierung, welche schon jetzt vorangetrieben wird. Raffaelo d?Andrea, Robotik-Professor an der ETH Zürich, zeigte auf, wie mit Hilfe von Robotern das Packen von Paketen in grossen Warenlagern effizienter gemacht werden kann. Auf die Frage aus dem Publikum, wie er denn damit umgehe, dass seine Technologie viele Jobs kosten würde, meinte er: «Ich bin mir dessen bewusst. Aber wenn ich es nicht mache, dann macht es jemand anderes. Das ist Spieltheorie.» Er als Individuum könne nicht das System ändern. So lange es kein Innovationsverbot gebe, werde Innovation betrieben. Im Übrigen glaube er nicht, dass die Maschinen irgendwann so intelligent werden können, wie das in den Terminator-Filmen mit «Skynet» gezeigt werde. Was ihm viel mehr Sorgen bereite, ist das Black-Swan-Phänomen. Denn durch das immerwährende Feedback, mit dem die Algorithmen neu gefüttert würden, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einem aussergewöhnlichen Ereignis innerhalb des Systems komme. Das sei statistisch vorhersehbar sei, die Auswirkungen jedoch liegen im Dunkeln.
Auf der nächsten Seite: Privatheit im Fokus mit Sarah Harrison

Privatheit im Fokus

Ein weiteres grosses Thema war die «Überwachung» durch Konzerne und natürlich die Regierungen. Dazu durfte Sarah Harrison, Journalistin und Wegbegleiterin von Edward Snowden Fragen des Moderators und dem Publikum beantworten. Für Harrison ist klar, warum die Regierungen ineffiziente Überwachungssysteme aufbauen ? ihnen geht es um Kontrolle. Sie machte auch darauf aufmerksam, dass der riesige Überwachungsapparat kaum für die Aufklärung von Terroranschlägen und Verbrechen nützlich sei. Denn der Beweis blieben die Regierungen nach wie vor schuldig. Die Argumentation, dass die Systeme gebraucht werden um die Gesellschaft zu beschützen ist für sie pure Propaganda. Für Harrison ist unverständlich, warum die Regierungen der Überwachung Vorschub gäben. Eine Aufgabe eines demokratischen Staates sei doch, die Privatsphäre der Bürger zu schützen. Die Frage sei nicht, ob man überhaupt etwas zu verbergen habe, sondern, ob man wirklich bereit sei, seine ganze Privatsphäre zu opfern.
Sie forderte die Nutzer dazu auf, Ihre Rechte einzufordern. Es brauche einen Zusammenschluss zwischen Nutzer und der Industrie um die Überwachung einzudämmen. Auch forderte sie einfachere Wege für den Endanwender, um seine Kommunikation zu verschlüsseln. Die momentan gängigen Verfahren, wie zum Beispiel Pretty Good Privacy, seien zu kompliziert. Immerhin habe sie feststellen können, dass immer mehr Journalisten ihre Kommunikation und Mails verschlüsselten ? das sei eine Verbesserung. Aber auch für Harrison ist klar, dass man hat heutzutage kaum noch eine Chance hat, keine digitale Spur zu hinterlassen. Ist man dem Übernetz somit ausgeliefert? Wird das Technium, welches Kevin Kelly in seinem Buch «What Technology wants» beschrieben hat, tatsächlich Realität? Gut möglich. Die anwesenden Redner konnten jedenfalls keine Exit-Strategien aufzeigen. Oder dann waren es Utopien, wie eine globale Regierung oder eine globale Rechtsprechung. Zum Beispiel, dass AGB auf der ganzen Welt so ausgestaltet werden sollten, dass dem Nutzer in einfacher Weise aufgezeigt wird, auf was er sich einlässt. Oder dass der Nutzer jeweils bei einer Aktion darauf aufmerksam gemacht wird, was der nächste Klick für Konsequenzen hat. Auf der nächsten Seite: Hacktivisten: Kriminelle oder einfach nur Störenfriede?

Hacktivisten sorgen für Unruhe

Allenfalls können Nadelstiche gesetzt werden. Dazu referierte Molly Sauter, eine kanadische Medienwissenschaftlerin. Sie versuchte dem Publikum aufzuzeigen, dass Hacktivisten nicht in die kriminelle Ecke gedrängt werden sollten. Denn der Protest im Netz, wie zum Beispiel der Lahmlegung eines Firmenservers ist die Weiterführung des Protestes von der Strasse. Doch es geht nicht nur um solche öffentlichkeitswirksamen und zum Teil rechtlich unter Strafe gestellten Aktivitäten. Viel mehr sehen sich die Hacktivisten auch als das moralische Gewissen einer immer atomisierteren Gesellschaft. «Wir sehen, dass innerhalb von bestimmten Peer-Groups die Argumentationen immer drastischer werden.» Diese Abkoppelung vom Rest der Gesellschaft zum Beispiel in Facebook-Gruppen versuchen die Aktivisten zu durchbrechen, indem Sie infiltrieren und Gegenargumente einbringen. Der zivile Ungehorsam darf nicht auf der Strasse enden, nein, er muss auch im Netz eine Fortsetzung finden. Und zwar so, dass nicht jede Aktivität gleich unter eine drastische Strafe gestellt wird.



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