BIT-Chef 18.06.2014, 13:52 Uhr

«Die IT muss nicht glauben, das Business besser zu verstehen»

Das Bundesamt für Informatik und Telekommunikation (BIT) steht immer wieder im Zentrum der Kritik, wenn in der Bundes-IT etwas schief läuft. Im Interview verteidigt BIT-Direktor Giovanni Conti die Arbeit seines Departements, sagt wo er sich unfair behandelt fühlt und erzählt von einer neuen Strategie.
BIT-Direktor Giovanni Conti spricht mit Computerworld über gescheiterte Projekte und warum in der Bundes-IT Business-Analysen bislang eine Seltenheit waren
Guten Tag Herr Conti. Sie amten seit 3 Jahren als BIT-Direktor, kommen aber von der Swisscom. Erzählen Sie uns bitte, wo sich die Arbeit zwischen Privatwirtschaft und öffentlicher Verwaltung gleicht.
Über die Menge betrachtet gibt es an beiden Orten gleich viele gute IT-Spezialisten. Es gibt auch gleich viele gute Leute mit grossem Herzblut, die für die Sache kämpfen. Und auch der technologische Stand der Aktivitäten lässt sich vergleichen.
Und wo liegen die Unterschiede zwischen dem öffentliche und privaten Sektor?
Die Differenzen beginnen bei der Beschaffung. Wenn der Bund eine Leistung beschaffen will, muss er allzu präzise formulieren, was er will und wie er die Kandidaten bewertet. Das muss man im privaten Sektor nicht tun, der Interaktionsprozess mit Lieferanten ist dort dynamischer. Das stört mich an meiner aktuellen Aufgabe.
Der steifere Prozess beim Bund soll aber verhindern, dass Korruptionsfälle wie im SECO Überhand nehmen.
Mag sein. Wenn ich aber zurückschaue auf meine Karriere im privaten Sektor, habe ich nicht das Gefühl, dass dort wesentlich mehr gemauschelt wurde oder die persönlichen Beziehungen einen grösseren Einfluss hatten. Den vermeintlichen Eindruck, dass man mit dem Prozess im Bund mehr Objektivität ins System bringt, kann ich also nicht bestätigen. Aber das Gesetz ist so und das erschwert die Art, wie wir mit Lieferanten arbeiten müssen, aber wir halten uns daran. Zudem ist man im Bund wesentlich stärker den Medien ausgesetzt. Es gibt auch viele private Leistungsbezüger die Probleme haben, aber am Ende redet man immer nur von den Problemen im Bund.
Aber das ist doch nachvollziehbar, beim Bund geht es immer auch um Steuergelder.
Das Interesse an den Steuergeldern ist legitim. Aber der durchschnittliche IT-Vorfall der öffentlichen Hand ist mit wesentlich mehr negativer medialer Konnotation behaftet wie im privaten. Obwohl die Medien dort wohl von gleich vielen Vorfällen wissen.
Ein solcher Medialer Vorfall, in den das BIT kürzlich involviert war, hatte mit einem AHV-System zu tun. Der Leistungserbringer ZAS erteilte Ihnen diesen Auftrag, war aber mit den Leistungen nicht zufrieden und wollte das Problem selbst lösen. Das klappte überhaupt nicht. Was ging schief?
Man muss sich bei diesem Auftrag die Frage stellen, ob die ZAS die fachliche Kompetenz hatte, um zu beurteilen, wie wir arbeiten.
Und, hatte sie?
Offenbar nicht genügend.
Warum liessen Sie sich dann den Auftrag entziehen?
Der Leistungsbezüger hat Entscheidungsautonomie. Wenn er sich entscheidet, den Auftrag extern zu vergeben, liegt das in seiner Kompetenz. In der Neuorganisation des BIT habe ich eine wesentliche Änderung hierzu vorgenommen. Ich möchte Leute reinbringen, die Business Analysen durchführen und so die Leistungsbezüger beraten können. Dann ist ein Auftrag, egal ob er intern oder extern auszuführen ist, besser definiert. Diese Leute muss ich aber einerseits intern noch finden und andererseits am Markt einkaufen.
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Sie wollen also nicht mehr Konkurrent für die IT der Ämter oder Externe, sondern Partner der Leistungsbezüger sein.
Das ist mein Ziel. Ich musste bei meinem Antritt feststellen, dass die Business Analyse im BIT nicht stark ausgeprägt war. Ich will das BIT nun so positionieren, dass wir den Kunden in den «Make or Buy»-Entscheiden unterstützen können. Und Aufträge kurzfristig vergeben können.
Und wie war es bisher?
Die Fachspezialisten vom Amt und vom BIT sassen zwar zusammen und unterhielten sich, aber eine Business Analyse oder ein fundierter «Make or Buy» Entscheid wurden nicht systematisch gemacht.
Machen Sie bitte kurz ein Beispiel, warum dies nötig gewesen wäre.
Bei Gesetzesänderungen kann eine nicht vorhandene «Make or Buy» Analyse problematisch werden. Wenn beispielsweise Anpassungen an einer Software gemacht werden müssen, weil ein Gesetz auf den 1.1.2015 in Kraft tritt und man sieht, dass die dafür nötige WTO-Ausschreibung gleich lange dauern würde, kann der WTO-Prozess nicht stattfinden. Dies muss man schon zu Beginn sehen, nicht erst während dem Projekt.
! KASTEN !
In der Privatwirtschaft sind Business Analysen vor Projektbeginn schon lange Standard. Warum nicht beim Bund?
Das ist historisch gewachsen. Den Beschaffungen im Bund liegt das Prinzip «IT follows Business» zugrunde. Die Ämter tragen für Fachanwendungen die Verantwortung. Das BIT positionierte sich aber als Entwickler, nicht als Partner in diesem Analyseprozess.
Würde eine zentralisierte Beschaffungsstelle nicht vieles vereinfachen?
Nicht unbedingt. Es gibt sicher Orte in der IT, wo man im Bund stärker zentralisieren könnte. Beispielsweise in der Architektur wäre es gut möglich, Technologie-Guidelines herauszugeben, auf denen dann aufgebaut wird. Und nicht jeder muss die technischen Fähigkeiten haben, um IT-Projekte am Markt zu beauftragen. Die Qualität der Resultate gewinnt man nicht ausschliesslichlich über Zentralisierung, sondern nur in Kombination mit einer stärkeren Kunden- und Serviceorientierung. Wenn sich die Ämter unterstützt fühlen, wollen sie mit uns zusammenarbeiten. Am Beispiel Nove-IT sieht man auch gut, wo die Probleme der Zentralisierung liegen. Zuerst wurde das Projekt gelobt, plötzlich gab es aber Bremswirkungen, weil zu viel zusammengelegt wurde. Also wurde es gestoppt. Und nun werden wieder Zentralisierungen wie die der Büroautomation gefordert, die man schon mit Nove-IT einführen wollte. Ich finde, entweder zentralisiert man oder man arbeitet zusätzlich auch zusammen. Ich bin für letzteres, wir können nicht alles übernehmen.
Wie viel übernimmt das BIT denn heute bereits?
Der Bund gibt im Jahr eine Milliarde Franken für die Informatik aus. Davon gehen 300 Millionen in Projektgeschäfte, das BIT erhält 90-100 Millionen davon für seine Projektgeschäfte. Bei uns laufen aber auch viele Geschäfte, die das Betriebsgeschäft direkt beeinflussen. Momentan müssen wir über 18 000 Desktops ablösen, ohne dass die Benutzer etwas merken. Dazu gibt es immer wieder Arbeiten am Netz. Wir machen also nicht nur neue Software, auch wenn wir in der Öffentlichkeit so wahrgenommen werden.
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Und nun wollen Sie auch noch die von Ihnen geforderten Servicedienstleistungen erbringen. Wie wollen Sie das anstellen?
Eine Methode sind strategische Partner. Wir wollen nicht jedes Projekt, das die WTO-Schwelle überschreitet, einzeln ausschreiben müssen. Das zögert nur die Projektdauer hinaus. Darum haben wir strategische Partner gesucht, die für uns Projekte umsetzen.
Und wie helfen Ihnen diese Partner?
Wenn wir künftig von einem Amt einen Auftrag erhalten, verlangen wir von den Partnern eine Offerte. Das Verfahren ist im Vergleich zu WTO verkürzt weil das sogenannte Mini-Tender-Verfahren bereits vereinbart war. Zusammen mit dem Amt wählen wir dann den Partner aus.
Für die Firmen, die Sie als strategische Partner aussuchen, eine lukrative Sache. Aber kleine IT-Firmen beschweren sich immer öfters, dass es der WTO-Schwellenwert für sie verunmöglicht, bei Bundesaufträgen mitzubieten. Diese Firmen kommen für Sie als strategische Partner ja auch kaum in Frage, so dass in dem System nur mehr wenige Firmen die lukrativen Aufträge erhalten.
Der Einwand ist berechtigt, aber relativ. Denn Sie haben recht, wer keinen WTO-Prozess mitmachen kann, kann das bei einzelnen Grossprojekten wie der strategischen Partnerschaft auch nicht. Es gibt aber umgekehrt viele Aktivitäten, die zwischen 30 000 und 40 000 Franken laufen und so unter dem WTO-Richtwert sind. Da erhalten kleine Firmen permanent Aufträge.
! KASTEN !
Wie viele IT-Firmen erbringen denn Aufträge fürs BIT?
Das kann ich nicht genau sagen, aber es sind sicher nicht nur 3 oder 4, sondern über 100.
Strategische Partner schön und gut. Aber ist nicht ein anderes Problem, dass die Auftraggeber oft nicht genau wissen, was sie wollen? Und Ihnen dadurch unrealistische Budgets oder Zeitpläne hinlegen, innerhalb welcher Sie die Projekte gar nicht realisieren können?
Nein. Die IT muss bescheiden sein und nicht glauben, das Business besser zu verstehen als das Business selbst. Es ist aber natürlich schon auch eine Gratwanderung, bei der man sich fragen muss, wann man das Business vor überstürzten Aktionen warnt und wann man zurückstehen und sie machen lassen muss. Wir müssen verstehen, wann wir den Leuten raten sollten aufzupassen.
Um sie beraten zu können, brauchen Sie, wie Sie schon gesagt haben, die richtigen Leute. Schon in der Privatwirtschaft gibt es ein Fachkräfteproblem. Ist das beim Bund nicht noch schlimmer?
Es ist schon so, dass wir keinen Rush erhalten auf Stellen. Wir sind nicht attraktiver als der Privatsektor. Dafür bieten wir andere Dinge. In Sachen Lebensqualität zum Beispiel. Es gibt Leute die 80 Prozent arbeiten wollen, die finden bei uns gute Lösungen.
Lassen sich die Jungen mit der Work-Life-Balance ködern?
Ja. Aber natürlich gibt es auch bei uns den Fachkräftemangel. Wir bauen darum in gewissen Bereichen Kompetenzen auf. Momentan beispielsweise für ein internes Cloudprojekt. Dazu kommen auch Leute von ausserhalb und dann findet eine Emulation statt.
Sie haben zu Beginn gesagt, dass ihre Leute nicht schlechter sind wie die IT-Spezialisten der Privatwirtschaft und haben damit auf eine vielfach geäusserte Kritik reagiert. Dürfen Sie eigentlich in Konkurrenz zur Privatwirtschaft treten?
Eine Regel dafür gibt es nicht. Aber ich strebe an, dass wir nicht in Konkurrenz treten, auch wenn es Grauzonen gibt. Es geht dann darum zu schauen, wie viel bei einer Anwendung standardisiert übernommen werden kann und wie viel darum herum programmiert werden muss.



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