Ein CIO erzählt 25.04.2012, 09:59 Uhr

Der Weg aus dem Burnout

Hannes Wöhren war sechs Monate wegen Burnout in Behandlung - ohne Krankschreibung. Um nicht erneut in den chronischen Erschöpfungszustand zu rutschen, hat sich der IT-Chef eines Ingenieurbüros strenge Smartphone-Disziplin verordnet und seinen Arbeitsalltag umgestaltet.
Dieser Artikel ist ursprünglich in unserer Schwesterpublilation Computerwoche.de erschienen Platzt jemand in sein Büro herein, stellt der Hannes Wöhren die ausgestreckte Hand mit der Kante aufrecht auf den Tisch. Mit der Geste erinnert sich der IT-Chef selbst daran, sich nicht unterbrechen zu lassen. Gleichzeitig formt er damit einen Schutzschild, signalisiert dem Kollegen: «Ich habe jetzt keine Zeit, bitte komm später wieder.» Die Handbewegung hat der CIO eines Ingenieurbüros aus Norddeutschland mit seiner Psychotherapeutin einstudiert. Ein halbes Jahr lang liess sich Wöhren, der seinen richtigen Namen in diesem Zusammenhang nicht in den Medien lesen will, wegen eines Burnout-Syndroms behandeln. Der 39-Jährige hat sich in dieser Zeit Verhaltensweisen angeeignet, die ihm erlauben, längere Zeit am Stück konzentriert zu arbeiten und Stress aus seinem Arbeitstag zu verbannen.
Gemeinsam mit fünf DV-Kollegen betreut Wöhren die rund 300 Ingenieure seines Arbeitgebers. Sie arbeiten ausser am deutschen Stammsitz in Büros in New York, Moskau und im arabischen Raum. An den Standorten im arabischen Raum ist der Freitag Ruhetag, dafür brauchen die Ingenieure dort an Sonntagen - für sie ein normaler Arbeitstag - IT-Unterstützung. «Das nimmt uns hier die Freizeit», sagt Wöhren. Aber auch die Ingenieure am Firmensitz in Deutschland durchkreuzen ihrem IT-Chef des Öfteren Wochenendpläne anderer Art. Wartungsfenster an Samstagen oder Sonntagen anzuberaumen sei «äusserst schwierig, weil dann oft das halbe Büro vollsitzt und arbeitet», sagt Wöhren.  Mit typischen Ingenieuren habe er es zu tun, sagt er. Kreative, die statt in geordneten Prozessen häufig spontan handelten. Weil sie Bürogebäude in Moskau ebenso konstruieren wie Hochhäuser in Peking, brauchen die Ingenieure immer wieder Module für ihre Statiksoftware, die an die Baunormen in verschiedenen Ländern angepasst sind. «Oft fällt ihnen das erst in letzter Sekunde ein, und dann brauchen sie das Modul natürlich sofort», sagt Wöhren. Lesen Sie auf der nächsten Seite: Im Schlafanzug IT-Probleme gelöst

Im Schlafanzug IT-Probleme gelöst

Seit 2004 ist der Informatiker bei seinem jetzigen Arbeitgeber für die IT verantwortlich. Die Erwartung an ihn von aussen, ständig verfügbar zu sein, und der eigene Anspruch, in kürzester Zeit Probleme zu beheben, versetzten ihn in ständigen Stress. Könne jemand wegen eines IT-Problems nicht arbeiten, dürfe er ihn nicht warten lassen, denn das koste ja Geld, war lange Wöhrens Haltung. «Ich hatte den Anspruch, alles perfekt zu machen, zurückschalten ging nicht.» Hatte er nach dem Aufstehen Kaffee aufgesetzt, zückte Wöhren als Erstes den Blackberry, statt seiner Frau einen guten Morgen zu wünschen. Empfing er Meldungen über Probleme, fuhr er, noch im Schlafanzug, den Rechner hoch, um sie zu lösen. Ähnlich verliefen die Abende. Statt gemeinsam mit der Ehefrau etwas zu unternehmen, arbeitete Hannes Wöhren vorm Computer.  Zu Spannungen in der Ehe führte das lange Zeit nicht. «Meine Frau ist Lehrerin. Da hat man gerade in den ersten Berufsjahren viel zur Unterrichtsvorbereitung zu tun. Sie sass selbst bis nachts am Rechner», sagt Wöhren. Dass er nicht mehr abschalten konnte, ständig unter Strom stand, wurde ihm nicht bewusst. Irgendwann war es doch seine Frau, die ihn aufwachen liess. Sie entwickelte eine Magersucht, hungerte sich herunter - wohl, um auf sich aufmerksam zu machen, wie ein Arzt später meinte. «Ich habe das nicht einmal gemerkt», sagt Hannes Wöhren.  Der Arzt seiner Frau war es, der Hannes Wöhren dann fragte, was eigentlich bei ihm nicht stimme. Der IT-Leiter hatte zu der Zeit Rückenschmerzen, für die ein Orthopäde keine Ursache fand. Er schlief schlecht, hatte einen gereizten Magen. Unspezifische Symptome. In der Zusammenschau mit Wöhrens beruflicher und privater Situation war für den Arzt klar: Der IT-Chef befindet sich in einem Burnout. Berufstätige und Medien benutzen den Begriff schnell und inflationär. Experten sind zurückhaltender: Burnout ist für sie keine eigenständige Krankheit, klar definierbare Symptome für das Ausgebranntsein gibt es nicht. Burnout kommt in unterschiedlicher Gestalt daher. Einigkeit besteht darin, dass die Betroffenen in einem Zustand dauerhafter körperlicher und emotionaler Erschöpfung sind.  Hohe Arbeitslast und Stresssituationen, wie Hannes Wöhren sie beschreibt, kennen viele IT-Manager. Nicht zwangsläufig erwächst daraus ein Burnout. Wöhren rutschte über fast drei Jahre in diesen Zustand. Als Ausgangspunkt gilt für ihn heute, nach den Gesprächen in seinen Therapiesitzungen, die missglückte Zusammenarbeit mit einem früheren Kollegen. «Er war ein völlig anderer Typ als ich: sehr ruhig, und wenn ich ihm etwas aufgetragen hatte, musste ich immer wieder nachfragen», sagt Wöhren. Seine perfektionistische Haltung lief im Zusammenspiel mit dem IT-Kollegen ins Leere. Lesen Sie auf der nächsten Seite: Neben der Therapie weitergearbeitet

Neben der Therapie weitergearbeitet

Als der schwere Erschöpfungszustand bei Wöhren diagnostiziert worden war, bot ihm ein Arzt an, ihn für sechs Wochen krankzuschreiben. «Ich wollte das nicht», sagt Wöhren. Stattdessen entschied er sich, neben der Therapie weiterzuarbeiten, aber unter anderen Bedingungen. Er informierte das IT-Team und den Firmenchef über seinen Burnout - und übte in den folgenden sechs Monaten in den Therapiesitzungen mit einer Ärztin Verhaltensmuster ein, um die Auswirkungen von äusserem Druck zu verringern.
Ein Freund psychotherapeutischer Methoden und Entspannungstechniken war der IT-Leiter bis dahin nicht. «Ich habe anfangs gesagt, das ist doch Quatsch - aber mit der Zeit habe ich gemerkt, es hilft», sagt Wöhren heute. Er lernte progressive Muskelentspannung. Bewusst spannt der Patient dabei Muskelpartien an und entspannt sie wieder. Ein Zustand tiefer Entspannung lässt sich damit erreichen. «Man kann sich damit gut selbst wieder herunterholen», sagt Wöhren.  Mit seiner Therapeutin machte er sich ausserdem die Automatismen bewusst, die für ihn zu einem Teufelskreis geworden waren: von aussen Druck zu spüren, sich körperlich anzuspannen, sich grosse Mühe bei einer Aufgabe zu geben - und manchmal trotzdem zu scheitern oder keinen Dank zu erhalten. An konkreten Situationen aus seinem Arbeitsalltag spielte er diese Abläufe mit der Therapeutin durch. «Entscheidend ist, dass man bewusst den typischen Ablauf durchbricht, dann kann man am Ende auch darüber lachen», sagt Wöhren. Es sei ihm gelungen, das eingeübte Verhalten im Beruf zu übernehmen. Ingenieure, die jetzt mit kurzfristigen Anfragen zu ihm kommen, lässt Hannes Wöhren auch einmal ins Leere laufen. «Man kann viel möglich machen, aber wenn jemand auf den letzten Drücker kommt, geht eben auch mal etwas schief», sagt er. Diese Gelassenheit habe er zuvor nicht gehabt. Es sei ein grosser Unterschied, ob man sich bei Aufgaben Mühe gebe und dabei natürlich immer wieder unter «gesundem Stress» stehe oder ob man sich permanent im Streben nach Perfektion verrenne, sagt der IT-Chef.  Seinen Schreibtisch drehte Hannes Wöhren so, dass er mit dem Rücken zum offenen Raum sitzt. Dass andere ihm jetzt auf den Bildschirm schauen können, stört ihn nicht. Wichtiger sei, nicht mit jedem, der vorbeilaufe oder das Büro betrete, Blickkontakt zu haben. Die Hemmschwelle sei jetzt höher, ihn zu unterbrechen. «Eine typische Situation war vorher: Man ist hochkonzentriert, programmiert etwas, und Leute kommen rein und fangen einfach an zu reden», sagt Wöhren. Tut das jemand trotzdem noch, hilft ihm heute die einstudierte Geste mit der aufgestellten Hand. Lesen Sie auf der nächsten Seite: Gegen Stress - Hannes Wöhrens Fünf-Punkte-Plan

Spontane Aufträge abgeblockt

Als Sofortmassnahme nach der Diagnose reduzierte Hannes Wöhren ausserdem seine Arbeitszeit: «drastisch», wie er sagt - auf acht Stunden täglich. Um das einzuhalten, verordnete er sich einen strikteren Umgang mit Rechner und Blackberry. Das Smartphone schaltet der IT-Chef morgens nun frühestens im Aufzug zum Büro ein. Nach Feierabend liest er zu Hause in der Regel keine beruflichen E-Mails mehr. Bei Pannen werde Kollegen dennoch weiterhin geholfen. Hannes Wöhren hat die IT in Bereiche aufgeteilt. Jedem seiner IT-Kollegen sind jetzt Zuständigkeiten für bestimmte Systeme fest zugeteilt, «mit voller Verantwortung», wie Wöhren sagt. Kommt es dort abends oder am Wochenende zu Problemen, wird der zuständige Mitarbeiter angerufen - und nicht der IT-Chef.
Und Anfragen auf Zuruf beugt Wöhren mit einem neuen Antragsformular vor. Wer Software braucht, muss sie auf diesem Weg bestellen. «Wenn die Leute ein Formular ausfüllen müssen, erledigen sich viele spontane Anfragen wieder von selbst», sagt Wöhren. Seine Massnahmen wirken unspektakulär. Ihre Auswirkungen aber seien deutlich spürbar, sagt er. Nach der letzten Therapiesitzung im Dezember teilte ihm seine Ärztin mit, dass sie keine Anzeichen von dauerhaftem Stress oder Erschöpfung mehr bei ihm feststelle. Die in der Therapie eingeübten Verhaltensmuster habe er so verinnerlicht, dass er sie auch in Stresssituationen umsetze, sagt Wöhren. «Stressig ist meine Arbeit weiterhin, aber ich kann jetzt anders damit umgehen.»  Und die Leistung der IT-Abteilung sei trotz seiner nun geregelten Arbeitszeit nicht schlechter geworden. Die Anwender hätten auch seine veränderte Haltung gegenüber eiligsten Wünschen und das Bestellformular mit wenig Murren geschluckt. Gezeigt habe das die jüngste Mitarbeiterbefragung.

Gegen Stress - Hannes Wöhrens Fünf-Punkte-Plan     

  1. Spontanaufträge an die IT abblocken: Wer zur Bestellung einer Software ein Formular ausfüllen muss, denkt zwei Mal über seinen Wunsch nach. 
  2. Sich nicht von jeder Anforderung «auf den letzten Drücker» aus dem Konzept bringen lassen: Wer die IT aus eigenem Verschulden zu spät beauftragt, muss damit rechnen, dass er auf die Lösung seines Problems länger wartet.     
  3. Konzentrationsphasen sicherstellen: Fehlender Blickkontakt mit Eintretenden erhöht die Hemmschwelle für Störungen; sich selbst dazu anhalten, Störer abzuweisen.     
  4. IT-Mitarbeitern Verantwortung für klar umrissene Bereiche zuteilen: Bei Zwischenfällen am Wochenende wird dann nicht immer gleich der Chef angerufen.     
  5. Offline-Zeiten festlegen: Firmen-Smartphone nicht vor dem Frühstück einschalten, abends zu Hause keine beruflichen E-Mails mehr bearbeiten.



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