Informatikstudium 09.12.2011, 17:14 Uhr

War früher alles besser?

Dieses Herbstsemester haben etwas mehr Frauen und Männer als im letzten Jahr mit einem Informatikstudium an der ETH Zürich begonnen. Dennoch ist nicht alles Gold, was glänzt. Computerworld hat nachgefragt, warum das so ist.
156 Frauen und Männer haben im Herbstsemester 2011 mit einem Informatikstudium an der ETH Zürich begonnen
16 Frauen und 140 Männer haben im Herbstsemester 2011 mit einem Informatikstudium an der ETH Zürich angefangen. Insgesamt sind das also 156 Neueintritte und damit drei mehr als im letzten Jahr. Erfreulich ist, dass sich unter neuen Studierenden der Frauenanteil im Jahresvergleich leicht erhöht hat. Und zwar von 13 auf die bereits erwähnten 16 in diesem Jahr. Dennoch: «Der Frauenanteil ist - trotz Frauenförderung - leider noch immer gering», so Herbert Bruderer, Medienbeauftragter des Ausbildungs- und Beratungszentrums (ABZ) der ETH Zürich, gegenüber Computerworld. Studierendenboom vor zehn Jahren Klar ist, dass die Gesamtzahl der neuen Studierenden noch immer drastisch unter dem Spitzenwert aus dem Jahr 2001 liegt, als insgesamt 340 Männer und Frauen an der ETH ihr Informatikstudium aufgenommen haben. Der Frauenanteil lag damals übrigens bei 14,71 Prozent und damit um einiges über dem heutigen Wert von 10,26 Prozent. Sieht man sich die Gesamtstudierendenzahlen an, wird deutlich, dass diese seit rund zehn Jahren rückläufig sind und in der jüngsten Vergangenheit immer weiter gesunken sind. So gab es im Jahr 2002 - kurz nach dem Platzen der Dotcom-Blase - insgesamt 1238 Informatikstudierende, ein Jahr darauf waren es nur noch 1162. Im Jahr 2006 lag die Gesamtstudierendenzahl mit 957 dann erstmals unter 1000. Allerdings ist dieser Wert noch immer massiv höher, als heutzutage. 2010 gab es gerade einmal noch 758 Informatikstudierende an der ETH (Anm. d. Red.: Die Gesamtzahlen für das Jahr 2011 hat die ETH Zürich noch nicht freigegeben). In diesem Zusammenhang muss allerdings erwähnt werden, dass die Anzahl der Master-Studierenden unterm Strich zugenommen hat - und zwar von 125 im Jahr 2001 auf mittlerweile 231 im Jahr 2010. Nächste Seite: Wie geht es weiter? Wie geht es weiter? Die Zahl der Informatikstudierenden an der ETH Zürich spiegelt natürlich nur einen Teil der Schweizer IT-Ausbildungslandschaft wider, denn immerhin versteht sich die Eidgenössische Technische Hochschule in der Limmatstadt als Eliteuniversität, die weltweit einen ausgezeichneten Ruf geniesst. Wer hier studiert, gehört zur Crème de la Crème der Informatik. Somit ist es höchst unwahrscheinlich, dass dereinst mehrere tausend Informatikstudierende an der ETH zu finden sein werden. Viele dürften wohl bereits an den umfangreichen Anforderungsvoraussetzungen scheitern, wie sie etwa für das Master-Studium gelten. Dennoch ist es ein Fakt, dass sich die Studierendenzahlen der ETH Zürich derzeit in ein relativ tristes Gesamtbild fügen: Schliesslich werden einer Erhebung von ICT-Berufsbildung Schweiz zufolge bis zum Jahr 2017 schweizweit 32'000 Fachkräfte im ICT-Bereich fehlen. Und wenn an der ETH Zürich die Studierendenzahlen seit mehreren Jahren steigen statt sinken, spricht das Bände.Herbert Bruderer rechnet damit, dass sich die Anzahl der neuen Informatikstudierenden in der nächsten Zeit nicht gross verändern wird. Allerdings hofft er, «dass die vielfältigen Bemühungen zur Nachwuchsförderung mit der Zeit Früchte tragen werden.» Und insbsondere in diesem Bereich ergreift die Hochschule gezielt Massnahmen. Wie Minh Tran, Kommunikationsleiterin am Department für Informatik an der ETH Zürich, im Gespräch mit Computerworld erläutert, wird mit «ETH unterwegs» beispielsweise eine Roadshow durchgeführt, wo Schülerinnen und Schülern ein umfassender Einblick in Studium und Wissenschaft gegeben wird. «Es ist wichtig, Informatikinteressierte so früh wie möglich aus dem Winterschlaf zu wecken», ist Tran überzeugt und weist auf weitere Aktionen der ETH in diesem Zusammenhang hin: Dazu zählt etwa die Veranstaltung «Treffpunkt Science City», die den Dialog der ETH Zürich mit der Bevölkerung ankurbeln soll. Im Zuge dessen werden mehrmals jährlich unter anderem Kurzvorlesungen, Laborbesuche und Rundgänge an der Hochschule angeboten und Interessierte aus allen Bevölkerungsschichten können Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler persönlich kennenlernen. Nächste Seite: Tal der Tränen ist Vergangenheit Dass an Schweizer Schulen die mathematisch-naturwissenschaftlichen Fächer und insbesondere die Informatik stark benachteiligt sind, bemängelt - neben zahlreichen Experten und Vertretern der helvetischen ICT-Branche - auch ABZ-Vertreter Bruderer. «Weder in der Volksschule noch an den Mittelschulen gibt es ein Pflichtfach Informatik, ähnlich sieht es an den pädagogischen Hochschulen aus», sagt Bruderer und fügt an: «Eine flächendeckende eingehende Grundbildung in Informatik und nicht nur in der Informatikanwendung ist meines Erachtens Voraussetzung für eine deutliche, nachhaltige Zunahme des Informatiknachwuchses an unseren Hochschulen.» Ähnliche Forderungen hat zuletzt bereits die helvetische ICT-Branche erhoben und sich vehement für Informatikunterricht an helvetischen Schulen stark gemacht. Im Zuge dessen hat sich etwa Walter Gander, emeritierter Professor am Department für Informatik an der ETH Zürich und Leiter Kommission Bildung bei ICTswitzerland, im Gespräch mit Computerworld dafür eingesetzt, dass alte Lehrinhalte ausgemistet werden sollen, um Platz für Informatik als Pflichtfach zu schaffen.Nahezu zeitgleich wurden vor kurzem zudem mehrere Initiativen gestartet, um für mehr eidgenössischen ICT-Nachwuchs zu sorgen. So hat beispielsweise der Kanton Zürich ein 3-Punkte-Programm verabschiedet, mit welchem der Nachwuchs in der ICT-Branche gezielt gefördert werden soll. Ausserdem kann das Ergänzungsfach Informatik neu an allen Zrcher Mittelschulen angeboten werden. Des Weiteren laufen schweizweit verschiedene Massnahmen, um dem Fachkräftemangel aktiv zu begegnen. Im Zuge dessen hat der Verein ICT-Berufsbildung Schweiz im vergangenen Monat die erste nationale ICT-Berufsbildungskonferenz abgehalten. Im Rahmen der Veranstaltung hat ICT-Berufsbildung Schweiz unter anderem bekanntgegeben, dass man bis zum Jahr 2017 eine erhebliche Steigerung der Absolventen der beruflichen Grundbildung anstrebt. Damit soll schliesslich die Basis für eine Verdoppelung an Eintritten in die höhere Berufsbildung geschaffen werden. Tal der Tränen ist Vergangenheit Wie Minh Tran von der ETH abschliessend erklärt, befindet sich das Informatikstudium in einer positiven Wendephase. «Nachdem die Dotcom-Blase geplatzt ist, haben wir bei den Studierendenzahlen ein Tal der Tränen durchlaufen. Das ist allerdings mittlerweile Vergangenheit und was die Zukunft betrifft, bin ich aber äusserst optimistisch.» Wenn dann die Gesamtstudierendenzahlen für das laufende Jahr vorliegen, wird klar werden, wohin die Reise geht. Die Bemühungen um den Nachwuchs - mit Roadshows an Schulen und ähnlichen Massnahmen - werden vermutlich noch ein paar Jahre Zeit brauchen, ehe sie sich auf die Studierendenzahlen positiv auswirken.Harald Schodl



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