30.07.2010, 06:00 Uhr

Arbeit und Leben in Balance

Den Arbeitnehmenden bieten sich vielfältige Möglichkeiten, ihre Arbeits- und Lebenszeit individuell und eigenverantwortlich zu gestalten. Auch die Arbeitgeber profitieren von flexiblen Arbeitsformen, obwohl diese den Koordinationsaufwand erhöhen.
Markus Zürcher ist freier Journalist Die flexible Gestaltung der Arbeitszeit hat in den letzten Jahren massiv an Bedeutung gewonnen: Die traditionelle Normalarbeitszeit - der klassische Acht-Stunden-Tag - mit einheitlichen und weitgehend normierten Regelungen ist in der Schweizer Unternehmenslandschaft immer seltener anzutreffen. Laut der Schweizerischen Arbeitskräfteerhebung «Sake 2009» hat jeder Dritte der 4,3 Millionen Erwerbstätigen in unserem Land eine Teilzeitstelle. Bei 655000 Teilzeitbeschäftigten lag das Pensum unter 50 Prozent. Eine deutliche Sprache spricht auch die Zahl der Geschlechterverteilung: Mit 1,13 Millionen sind es vor allem Frauen, die Teilzeit arbeiten - fast viermal so viele wie Männer.

Vorteile für beide Seiten

Arbeitszeitmodelle mit erhöhter Zeitsouveränität sind beliebt, weil sie sowohl Arbeitgebern als auch Arbeitnehmenden Freiräume und Chancen eröffnen. Die Arbeitnehmenden können neue Laufbahnmuster verwirklichen, neue Rollenbilder leben und einen für sie sinnvollen Lebensrhythmus kreieren. Besonders junge Berufstätige wollen gar keine traditionellen Arbeits-verhältnisse mehr. Sie ziehen es vor, zu jobben und zu reisen und dabei möglichst viele Erfahrungen zu sammeln. Von der Flexibilisierung der Arbeitszeit profitieren beide Seiten: Die Arbeitgeber können ihre saisonalen oder auftragsmässigen Spitzenzeiten abdecken und die Belegschaft dem wechselnden Arbeitsanfall anpassen. Ausserdem profilieren sie sich als familienfreundlich und erreichen Fachkräfte, die unbedingt Teilzeit arbeiten wollen. Ein weiterer Pluspunkt sind die geringeren Fehlzeiten. Neue Kommunikationsmittel sorgen dafür, dass sich die Arbeits- und Organisations-formen - und damit die Präferenzen der Mitarbeitenden - ändern. «Beschleunigt wird der Trend durch Smartphones, die an praktisch jedem Ort die Bearbeitung beruflicher E-Mails und Dokumente ermöglichen. Wir sehen die Anwendung neuer, individualisierter Arbeitsformen beziehungsweise flexibler Arbeitszeitmodelle als Vorteil für das Unternehmen und die Mitarbeitenden», sagt Lisa Lamanna Merkt, Head of Employment Relations bei der Swisscom AG. Den Arbeitnehmenden bietet sich die Möglichkeit, Arbeit und Freizeit flexibler zu gestalten und so ihre Work-Life-Balance ins Lot zu bringen. Junge Eltern beispielsweise haben die Möglichkeit, sich mehr Zeit für die Kinderbetreuung zu nehmen. Frauen können ihre Potenziale vermehrt in die Arbeitswelt einbringen und weiterentwickeln. Flexiblere und kürzere Arbeitszeiten sind volks-wirtschaftlich sinnvoll. Sie können dazu beitragen, Arbeitsplätze zu erhalten, bestehende Arbeit auf mehr Beschäftigte zu verteilen oder neue Stellen zu schaffen.  

Arbeiten mit Zeitkonten

In der Praxis wird die zu leistende Arbeitszeit zunehmend auch unter einer längerfristigen Perspektive betrachtet. Sie wird nicht mehr auf den Tag oder die Woche ausgerichtet, sondern umfasst ein ganzes Jahr oder sogar die gesamte berufliche Biografie. Sogenannte Jahresarbeitszeitmodelle sind in der Schweiz bereits weit verbreitet. Häufig werden sie in Gesamtarbeitsverträgen verankert, beispielsweise bei der Swisscom. Arbeitgeber und Arbeitnehmer vereinbaren eine jährliche Soll-Arbeitszeit. Vom durch-schnittlichen wöchentlichen Arbeitspensum kann dann in einer festgelegten Bandbreite abgewichen werden. Beim Lebensarbeitszeitmodell sparen die Angestellten jährlich wählbare Zeitelemente auf einem Zeitkonto an, die sie später ohne Lohnverlust wieder beziehen, zum Beispiel für ein Sabbatical oder einen Langzeiturlaub. Neben einer Unterbrechung der Erwerbsphase lässt sich über ein solches Zeitsparmodell auch der Ausstieg aus dem Erwerbsleben flexibler gestalten: Der Angestellte reduziert seinen Beschäftigungsgrad vor der Pensionierung sukzessive - und lässt sich gleitend pensionieren.

Teilzeitarbeit für Kader eher selten

Lange Präsenzzeiten bei Führungskräften gelten noch immer als Beweis für besonders grosses Engagement. Dementsprechend rar sind flexible Arbeits-zeitmodelle oder Jobsharing auf Kaderstufe, namentlich bei älteren Kadermitarbeitenden. «Teilzeit im Kader bei Personen über 50 ist nach wie vor sehr selten anzutreffen», bestätigt Adrian Blum. Er ist Partner der empiricon AG und befasst sich intensiv mit dem Arbeitszeitmanagement. «Für die Förderung dieser Arbeitsform braucht es ein modernes Führungsverständnis im Unternehmen. Dies bedeutet: weg vom Präsenzdenken, hin zum ergebnis-orientierten Denken», sagt Adrian Blum. Bei der Umsetzung von flexiblen Arbeitszeitmodellen für Kader stellen sich zudem besondere Herausforderungen an die Führung: «Die Führungs-anforderungen steigen deutlich. Die Eigenverantwortung der Mitarbeitenden muss gefördert werden. Das erfordert einerseits die Fähigkeit zur Delegation, bringt aber auf der andern Seite zugleich auch Kontrollverlust sowie eine komplexere Arbeitsplanung mit sich.» Viele Kadermitarbeitenden über 50 möchten sich gern schrittweise aus dem Erwerbsleben zurückziehen - und nicht brutal von hundert auf null zurückfahren. Eine Anpassung der Arbeitszeiten und die damit verbundenen Erholungs-möglichkeiten erhöhen die Motivation und die Bereitschaft, länger im Arbeits-prozess zu verbleiben. Beliebt ist auch die Option, ältere Kader auf Mandatsbasis als Berater oder Projektleiter weiterzubeschäftigen. Aber solche Modelle setzen nicht nur voraus, dass gewisse Arbeits-prozesse im Unternehmen angepasst werden. Für die Betroffenen kann es zudem bedeuten, entsprechende Korrekturen bei der Pensionskasse vorzunehmen beziehungsweise finanzielle Einbussen in Kauf zu nehmen.

Unkonventionelle Modelle

Auch kreative Lösungen wären realisierbar, aber manche Unternehmen scheuen den erhöhten Koordinationsaufwand, den flexible Lösungen mit sich ziehen. Das Stafettenmodell kombiniert den gleitenden Ausstieg aus dem Erwerbsleben mit einem gleitenden Einstieg von ausgelernten Jugendlichen. Meist ältere Personen teilen ihre Stelle in der letzten Phase vor der Pensionierung mit Lehrabgängern und geben ihr Wissen an die nächste Generation weiter. Das Bandbreitenmodell sieht vor, dass Beschäftigte ihre Arbeitszeit innerhalb einer Bandbreite (zum Beispiel von 30 bis 40 Wochenstunden) frei wählen können. Sie verdienen dann einfach entsprechend mehr oder weniger. Die Turnusteilzeit sieht Teilzeitarbeit in einem regelmässigen Wechsel vor; zum Beispiel eine Woche Vollzeit arbeiten, dann eine Woche frei haben. Ein Sabbatical schliesslich bietet die Möglichkeit, für längere Zeit aus dem Job auszusteigen und danach an den Arbeitsplatz zurückzukehren. Die Mehrzahl der Sabbatical-Nehmenden nutzt diese Auszeit zur beruflichen Weiterbildung. Swisscom ermöglicht beispielsweise ihren Kadermitarbeitenden alle fünf Jahre ein Sabbatical von zwei bis drei Monaten.
Der Beitrag ist ein Auszug aus dem SKO-Leader, dem Verbandsmagazin der Schweizer Kader Organisation. Die Ausgabe "Lebenszeit - Arbeitszeit" ist am 15. Juni erschienen. Unter info@sko.ch erhalten Sie eine Gratisausgabe. Computerworld ist Medienpartner des SKO.

Weitere Infos finden Sie unter: www.sko.ch



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