22.01.2015, 14:35 Uhr

IT-Projekte machen krank

Immer mehr IT-Projekte laufen aus dem Ruder. Für Projektleiter und Projektarbeiter bedeutet das Stress. Zwischen 20 und 40 Prozent der IT-Spezialisten weisen Anzeichen von psychischer Erschöpfung auf, fand Psychologin Anja Gerlmaier in einer Studie heraus.
Unklare Anforderungen an die Anwendung, Zeit- und Kostendruck, Zusammenarbeit mit Freiberuflern, Herstellern und IT-Dienstleistern, die Auslagerung der Entwicklertätigkeiten nach Russland oder China, Probleme mit Hard- oder Software, sich ändernde Kundenwünsche - die Liste der Unwägbarkeiten, die heute ein IT-Projekt mit sich bringt, ist lang.

Die Folge: Es sammlen sich zahllose Überstunden an, die Stressbelastung aller Teammitglieder und insbesondere der Teamleiter steigt. Anja Gerlmaier vom Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen untersucht seit Jahren die Projektarbeit in der IT-Branche und spricht von «Katastrophenprojekten». Vor 20 Jahren noch die Ausnahme, gehören sie heute zum Alltag. Früher folgten solch schwierigen Projekten «stabile Kunden oder ein gutes Budget, so dass gute Planung möglich war. Doch solche Vorhaben werden immer seltener», beobachtet die Psychologin. Projektarbeiter können sich von einem furchtbaren Projekt kaum noch erholen, denn das nächste steht schon vor der Tür.
Da immer mehr Projekte unverhersehbarer werden, steigt der Stress für die Beteiligten. «Aufgrund der langen Arbeitszeiten haben die Leute einen erhöhten Energieaufwand, können aber gleichzeitig ihre Ressourcen nicht wieder aufbauen. Die Projektmitarbeiter entleeren sich bis zur psychischen Erschöpfung», erklärt Gerlmaier. Das Ergebnis: «Jeder dritte Mitarbeiter in Projekten ist Burnout-gefährdet.» Noch stärker leiden die Teamleiter in der Sandwich-Position darunter. «Mir erzählen Teamleiter oft, dass 80 Prozent ihrer Zeit in Koordinationsaufgaben besteht.» Ist Not am Mann, übernehmen sie zusätzliche Aufgaben, um ihre Teammitglieder zu entlasten. Daher wiesen zwischen 60 und 80 Prozent der Teamleiter überdurchschnittliche Burnout- und Stresswerte auf. Nächste Seite: Gegenmassnahmen

Drei Stunden ohne Telefon oder Meeting

Doch es gibt viele Möglichkeiten, gegen die Überlastung vorzugehen. Zum einen gilt es, die Ressourcen der eigenen Mitarbeiter besser zu nutzen. Um Arbeitsunterbrechungen zu verhindern, rät Gerlmaier zu Blockzeiten: «In diesen kann jeder im Team drei bis vier Stunden in Ruhe arbeiten, ohne ans Telefon oder in Meetings gehen zu müssen. Ein Team kann vereinbaren, Meetings nur nach dem Essen abzuhalten.» Oder zwei Kollegen stellen wechselseitig das Telefon aufeinander um, damit jeder mal ruhig und konzentriert arbeiten kann.
Über die Arbeitsbelastung im Team sollte regelmässig gesprochen werden, so der Rat der Psychologin: «Einmal in der Woche sollte jeder Mitarbeiter ein Update geben, wie hoch die jeweilige Arbeitsbelastung ist und ob er Hilfe braucht. Das erfordert Vertrauen zwischen Teamleiter und Kollegen. Es gibt auch Teams, in denen diese Kommunikation nicht klappt.»

Pausen müssen sein

Fehlende Pausen verschärfen den Stress überdies. Eigentlich wären alle eineinhalb Stunden fünf Minuten Pausen angesagt. «Um das zu forcieren, hilft es, Pausenrituale einzuführen», schlägt Gerlmaier vor. So könne ein Kollege durch den Gang laufen und alle zu einer Kaffeepause animieren. «In Unternehmen, in denen wir das eingeführt haben, gibt es solche Pausenrituale teilweise immer noch», erzählt Gerlmaier. Selbst skeptische Führungskräfte seien irgendwann selbst mit Keksen zur Kaffeepause dazugekommen. Das bringe enorm viel für die Motivation und Psyche der Mitarbeiter. Um Projektarbeit stressfreier zu gestalten, sollten sich die Verantwortungsbereiche der Mitarbeiter überlappen. «Überlappende Verantwortung und das Arbeiten im Tandem kostet die Betriebe nichts», ist die Arbeitswissenschaftlerin überzeugt. Konzentriert sich dagegen alles auf einen einzigen Experten und wird dieser in unterschiedlichen Projekten gebraucht, kann dieser schnell überbansprucht werden. Auch für das Unternehmen könne das gefährlich werden, zeigt Gerlmaier an einem Beispiel: «In einem Unternehmen ist nur ein Kollege dafür zuständig, die PCs zu bestellen. Ein Kunde hat eine Million Computer bestellt - und dann fällt der Kollege wegen Krankheit drei Wochen aus.» Nächste Seite: Chefs müssen eingreifen

Chefs müssen eingreifen

Führungskräfte können helfen, ihre Mitarbeiter vor Überarbeitung und Burnout zu bewahren. Bemerken sie eine Veränderung im Verhalten, sollen sie mit ihnen sprechen. Oft erzählten Gerlmaier Projektmitarbeiter, dass Kollegen und Vorgesetzte gesehen hätten, dass sie in den Burnout hineinfielen, aber keiner habe geholfen. «Führungskräfte können Aufgaben priorisieren und Tätigkeiten zu verlagern, das entlastet die Mitarbeiter unheimlich», appelliert sie.
Doch etliche Chefs tun sich schwer mit solchen Massnahmen, weiss die Pschychologin: «Viele Führungskräfte haben es nicht gelernt, Mitarbeiter vor Stress zu bewahren. Oft finden irrationale Machtkämpfe statt, anstatt dass den Mitarbeitern die Möglichkeit gegeben wird, die Ressourcen wieder aufzubauen.» So sei das Thema Home Office schwer umstritten. In etlichen Firmen dürfen nur wenige Mitarbeitern teilweise von zuhause aus arbeiten, obwohl das zur Stressreduktion massgeblich beitragen kann. Damit die Chefs intervenieren können, müssen sie geschult sein, solche Gespräche zu führen oder den Zeitpunkt zu erkennen, wann sie einen Psychologen einschalten sollten.


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