Gunter Dueck 03.06.2015, 10:31 Uhr

«Schwarmintelligenz? Das wird nichts.»

Meetings und Teamarbeiten funktionieren nur unter bestimmten Voraussetzungen – und die sind im Unternehmensalltag selten gegeben. In der Folge verhalten sich alle viel dümmer, als sie eigentlich sind. Gunter Dueck erklärt, warum er ein ganzes Buch darüber geschrieben hat.
* Der Autor war Mathematikprofessor und bis 2011 Cheftechnologe bei IBM. Der Querdenker ist derzeit als Autor, Netzaktivist, Business Angel und Speaker tätig. Heute erklingen überall hymnische Loblieder auf die sogenannte «Schwarm­intelligenz», in denen Leute ehrgeizig und lustvoll ein gemeinsames Ziel anstreben und zu erstaunlichen Erfolgen imstande sind. Die Idee, dass man im Team viel mehr erreichen kann als alleine, ist weitverbreitet. Sie wird alle paar Jahre als neue fette Sau durchs Dorf getrieben. Man spricht seit vielen Jahren von der Summe, die angeblich grösser ist als ihre Teile. Man studiert die ideale Team­zusammensetzung verschiedener Charaktere (Macher, Denker, Kreativer, Erbsenzähler) und glaubt fest an die planmässige Erschaffung von «High Performance Teams», die ein Vielfaches der heutigen müden Haufen erreichen könne Die Theorie... In den grossen Unternehmen wird all dies von Beratern gepredigt. Natürlich gibt es auch ein paar scheinbar harmlose Annahmen darüber, wann ein All-Star-Team gut funktioniert. Man geht selbstverständlich davon aus, dass man ein Team aus guten Machern, Denkern, Verkäufern und so weiter zusammenstellt. Erst recht, wenn die Lage trostlos aussieht. Es ist zudem wichtig, dass die Teammitglieder ihre Zusammenarbeit als gemeinsames Schicksal («Shared Fate») empfinden; sie müssen für dasselbe Ziel brennen. Und schliesslich sollte das «Winning Team» in seiner Zusammensetzung über längere Zeit ungefähr gleich bleiben, damit man blind vertrauend und zuverlässig zusammengeschweisst glänzend arbeiten ka ...und die Praxis So, nun los! Als Erstes wird einmal probiert, ein Hochleistungsteam zu etablieren. Leider sind die tollen Leute, die man auswählt, in genau diesem Moment unabkömmlich, weil man sie nicht aus ihrem gerade absolut entscheidenden Projekt loseisen kann. Das versichern deren direkte Vorgesetzte, die bei dem allfälligen Weggang eines Teamstars fürchten, sich eine Katastrophe einzufangen. Na gut, dann probiert man es halt mit mittelmässigen Leuten – die werden ja durch die Schwarmintelligenz bestimmt besser. Dazu gibt man ihnen «Incentive»-Ziele, damit sie angestachelt werden und auch gegenseitig im Wettbewerb stehen. Das klingt dann so: «Im Team gibt es Performance-Noten. Einer von euch zehn bekommt eine satte Gehaltserhöhung, sechs eine normale, drei sind Low Performer.» Leider ist es nun mit dem «Shared Fate» vorbei. Aber «Incentives» sind immer für irre Leistungssteigerungen gut, sonst gäbe es ja keine Boni. Natürlich arbeitet das Team dann einmal zur Probe vier Wochen an einem Kundenprojekt zusammen, um dann wieder neu eingeteilt zu werden. Ich will sagen: Das mit der Schwarmintelligenz wird nichts, es scheitert am grauen Unternehmensalltag. Da sitzen keine Schicksals­genossen zusammen! Sie sind auch nicht zusammengeschweisst, sondern durch indi­viduelle Ziele und «Incentives» getrennt («Dafür werde ich nicht bezahlt.»). Lesen Sie auf der nächsten Seite: Widersprüchliche Forderungen Widersprüchliche Forderungen Der Nährboden für Dummheit ist damit bereitet. Das Unternehmen gibt allen Managern und Mitarbeitern viel zu ehrgeizige Ziele, weil es fürchtet, die Ziele aus Versehen zu tief anzusetzen – das wäre ja verschenktes Potenzial. Nun «rödeln» alle im Hamsterrad, laufen Extrameilen in Überstunden, hecheln Deadlines hinterher und sehen erschrocken, dass andere sie mit anderer Zielsetzung stören, behindern, ignorieren. Sie alle helfen sich nicht mehr gegenseitig, weil sie nicht Sozialarbeiter sind, sondern «High Performance Singles» sein müssen – so will es der Chef. Es kommt zu Konflikten, die sich aus den divergenten Zielen ganz natürlich ergeben. Es hagelt Ärger, wenn Kollegen ihren Teil der Arbeit nicht termingerecht schaffen und sich mit «unter Wasser» rechtfertigen. Jeder fühlt sich wie ein heiliger Krieger, der sich zerreisst, sich aber durch nicht mitziehende, angeblich überlastete Feierabendkenner behindert und gestoppt fühlt. Sinnlose Massnahmen Weil unter extremer Zeitnot nichts klappen will, setzt man sich zu Meetings zusammen, in denen die Konflikte besprochen werden und die Ziele harmonisiert werden sollen – wenigstens verbal oder appellativ. Der abwesende Teamgeist wird feierlich beschworen, bis manche glauben, er sei nun im Raum. Diese fordern alle anderen im Meeting auf, dem Teamgeist zu huldigen, leider ohne Erfolg: «Geister gibt es hier nicht! Extrameilen leider auch nicht!» So tauschen sie alle ihre Meinungen aus, können sich nicht einigen und beschliessen, die Kommunikation durch das Abhalten zahlreicher regelmässiger Meetings zu verbessern. Tenor: «Wir müssen uns proaktiv treffen, auch wenn noch kein Kind im Brunnen ertrinkt.» Leider hat niemand Zeit, Meetings zu besuchen, in denen es um nichts geht, alle sind zu sehr «event-driven-getriggert». Ohne dritte Deadline im Nacken (erst dann ist etwas ernst gemeint!) rührt keiner den Finger. Keine Zeit! Nie mehr! «Komme gleich wieder, renne gerade die Extrameile. Ich mag Menschen nicht, die noch keine Burnout-Symptome zeigen!» Hysterische Verzweiflung Ich habe in einer solchen Lage öfter einmal angekündigt, ein längeres Buch über die Entstehung von Dummheit in Meetings zu schreiben. Fast ausnahmslos reagieren die Anwesenden auf diese Absicht mit einem besonderen hellen Lachen. Es ist das hysterische «Sich-Luft-Lachen» in einer verzweifelten Situation. Alle wissen, dass in Meetings Dummheit entsteht, wenn lauter Intelligente mit divergenten Zielen in bedrohender Zeitnot die jeweils anderen be­reden wollen, ihnen zu helfen! Jeder will vom anderen Hilfe, jetzt sofort. Und da dauert so ein Meeting seine Zeit, bis alles von jedem gesagt ist. Die Zeitnot steigt, man einigt sich nicht und vereinbart weitere Meetings. Die Zeitnot... Die Dummheit steckt nicht in den einzelnen Menschen, sondern im Meeting selbst. Und die Meetings breiten sich aus wie Metastasen, jedes Meeting erzeugt mehrere andere. Man glaubt, die Überlastprobleme durch zusätzliche Kommunikation heilen zu können und schaudert: In dem Meeting zur Verbesserung der Kommunikation tippen alle wie wild auf den Laptops und Smartphones herum. Sie scheinen die Kommunikation zu verachten. Dann heisst es: «Wir müssen sie zusätzlich in Kommunikation schulen, wir sollten in Mehrtageskurse investieren, sonst schaffen sie ihre Stretch Targets und Must make Goals nicht.» Nun habe ich meine Ankündigung wahr­gemacht – mit dem Buch «Schwarmdumm».


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