16.01.2012, 07:14 Uhr

Die Schweiz, ein Land der Rechenzentren

Kaum ein Land der Erde weist eine so gros­se Dichte an Rechenzentren auf wie die Schweiz – beinahe wöchentlich kommt mehr Datacenter-Fläche hinzu. Wie lange kann dieser Boom noch anhalten?
Nirgends auf der Welt, ist die Dichte an Rechenzentren höher als in der Schweiz.
Wer heute in der Schweiz unterwegs ist, sieht sie überall aus dem Boden schiessen: Grosse, fensterlose Zweckbauten, in deren Innerem Tausende von Servern werkeln und riesige Aggregate für die nötige Kühlung sorgen. Es handelt sich dabei um Rechenzentren (RZ) samt Dieseltanks, Generatoren und Notbatterien, die für die nötige Ausfallsicherheit sorgen. Nahezu wöchentlich kommt wieder ein neues Rechenzentrum dazu – oder die Betreiber kündigen zumindest eine Erweiterung an. Mancher fragt sich bei diesem Datacenter-Boom unweigerlich: Entsteht hier eine neue Blase, die demnächst zu platzen droht? Klar ist: Der Bedarf an RZ-Fläche ist in der Schweiz enorm – und er wird in den nächsten Jahren weiter zunehmen. Wie das Schweizer Marktforschungsinstitut MSM Research in seiner letzten Studie («Datacenter Outlook 2012») zum RZ-Markt in der Schweiz vorrechnet, steht derzeit eine Gesamtfläche von 36?444 Quadratmetern zur Verfügung. Dabei gehen die befragten Anwenderunternehmen von einem eher gemäs­sigten Wachstum von 5 bis 10 Prozent pro Jahr aus, während die Provider mit einem jährlichen Flächenzuwachs von über 20 Prozent rechnen. Die Prognose der Provider wird dabei durch eine Studie von Tier-1-Research im Auftrag der Credit Suisse gestützt, die ebenfalls von einem jährlichen Wachstum um 19 bis 20 Prozent bis 2015 ausgeht.

Riesiges Potenzial

Dass es noch viel Raum für Expansion im Datacenter-Umfeld gibt, vor allem für die RZ-Betreiber, davon ist auch Eddy Van den Broeck, Leiter des internationalen Datacenter-Betreibers Interxion in der Schweiz, überzeugt. «Studien zeigen, dass mehr als 80 Prozent aller Firmen ihre Rechenkapazitäten noch immer selbst, also in-house, betreiben», argumentiert er. «Das Potenzial ist also riesig», so seine Schlussfolgerung. Hinzu kommt, dass die Kassen der Firmen zunehmend klamm sind. Sparen ist angesagt, und das spielt wiederum den RZ-Betreibern in die Hände. Wie MSM-Chef Philipp Ziegler im erwähntem Datacenter-Report schreibt, wächst der Druck auf die ICT-Kosten weiter, vor allem vor dem Hintergrund der für viele Branchen eher düsteren Aussichten für die kommenden 12 Monate. Dies führe zum einen zu weiterer Vereinheitlichung und Virtualisierung im eigenen RZ. Zum anderen würden von den IT-Chefs auch Alternativen geprüft. Weiter geht es auf der nächsten Seite Laut MSM lotet jedes fünfte Unternehmen Optionen aus, Datacenter- und Cloud-Services von spezialisierten Anbietern in Anspruch zu nehmen. Sie wollen dabei «von möglichen Preisvorteilen einer Auslagerung profitieren», schreibt Ziegler. Dies gelte besonders für das Storage-Backup und den Ausgleich von Lastspitzen. «Daran Interesse zeigen vor allem Unternehmen, die sich bislang ein zweites Rechencenter für die Bewältigung dieser Aufgaben nicht leisten konnten», heisst es in dem Report weiter. Franz Grüter, CEO des helvetischen Rechenzentrumsbetreibers Green.ch, führt noch weitere Punkte an, warum die Nachfrage nach Datacenter-Fläche ausserhalb der eigenen Unternehmenswände steigen wird. So bestünden zunehmend höhere Auflagen in Bezug auf die Verfügbarkeit und Ausfallsicherheit von Computer- und IT-Systemen. Diesen nachzukommen fehlt vielen Firmen das Geld. Daneben sprechen laut Grüter die massive Steigerung der Datentransportkapazitäten durch Glasfaser und die damit einhergehenden stark gesunkenen Preise bei der Internetkonnektivität dafür, dass CIOs vermehrt den externen Betrieb der Informatikinfrastruktur ins Auge fassen.

Keine Blase zu befürchten

Wegen dieses enormen Bedarfs gehen alle von Computerworld kontaktierten Betreiber von Rechenzentren in der Schweiz davon aus, dass trotz reger Bautätigkeit keine Blase entstehen wird. Vielmehr dürfte sich die frisch zur Ver­fügung gestellte RZ-Fläche schneller mit Servern füllen, als vielen lieb ist. «Wir glauben, dass in den nächsten fünf Jahren alle Schweizer Betreiber ein full house haben werden», meint beispielsweise Andy Reinhardt, CEO von Deepgreen, der ab 2012 ein Rechenzentrum bei Mollis im Kanton Glarus mit einer Nettofläche von 6000 Quadratmetern in Betrieb nehmen wird. Dass dies keineswegs Zweckoptimismus ist, meint auch Franz Grüter von Green.ch. Er ist davon überzeugt, dass der Boom erst dann nachlassen wird, wenn sich die genannten Ursachen für die enorme Nachfrage umkehren. «Wir sehen eine solche Trendwende aber nicht», betont er. Nicht einmal der derzeit hohe Frankenkurs macht den RZ-Betreibern Angst. Sie fürchten keineswegs, dass ausländische Kunden den hiesigen Providern den Rücken kehren werden. «Rechenzentrumsstandorte werden nach Gesichtspunkten bestimmt, die über Jahre und Jahrzehnte Bestand haben. Ein tagesaktueller Währungskurs zählt nicht dazu», ist Grüter überzeugt. Auch der Schweizer Länderchef von Equinix, Marco Dottarelli, sieht das ähnlich. Obwohl der Preis einer der Entscheidungskriterien zur Standortwahl sei, könne dieser aber nicht als der einzige und wichtigste Faktor angesehen werden. «Die Schweiz war, ist und wird ein Hochpreisland bleiben», fügt er an. Leser Sie auf der nächsten Seite: Standortvorteil Schweiz und Betreiber im Wandel

Standortvorteil

Konstantinos Zografos, der bei Hewlett-Packard (HP) für die Schweizer Rechenzentren verantwortlich ist, kehrt den Spiess sogar um: «Der starke Franken ist ein Ausdruck der Stabilität der Schweiz – und genau das ist eigentlich ein Argument dafür, seine Rechenzentren und Daten in die Schweiz zu bringen», argumentiert er. Womit wir bei einem der vielen genannten Standortvorteile wären, die für die Errichtung eines RZ in der Schweiz sprechen: d­ie politische und ökonomische Stabilität. Doch das ist bei Weitem nicht der einzige Standortvorteil. Wie die meisten Betreiber unterstreicht auch Dottarelli die geografisch zent­rale Lage in Europa mit sehr guten Datenverbindungen. «Die ermöglichen kurze Latenz­zeiten», hebt er hervor. Deepgreen-Chef Reinhardt führt neben der guten Anbindung an die internationalen Datenhubs, auch die «sehr kompetitiven Strompreise» ins Feld. Doch nicht nur der Preis ist wettbewerbsfähig. Die Schweiz hat zudem «ein stabiles und dichtes Stromnetz mit überdurchschnittlicher Verfügbarkeit», wie Van den Broeck von Interxion ausführt. Zudem loben die Betreiber noch das gut ausgebildete Personal und dessen überdurchschnittliches Qualitäts- und Arbeitsethos.

Betreiber im Wandel

Doch sich mit geschwellter Brust zurücklehnen dürfen sich die RZ-Betreiber hierzulande auch nicht. Denn die Auswahlkriterien für externe Rechenzentrumsleistungen hätten sich grundlegend geändert, meint Dottarelli. «Es reicht nicht mehr, nur genügend Fläche mit ausreichenden Kühl- und Energiekapazitäten bereitzustellen», argumentiert er. Heute sei vielmehr eine ständige technologische Innovation nötig, um den gewandelten Bedürfnissen etwa in Sachen Cloud Computing gerecht zu werden. Eines der wichtigsten Themen beim Betrieb ist zum Beispiel Green Computing. RZ-Betreiber werden viel investieren müssen, um die Energieeffizienz zu steigern. Diesbezüglich sei aber nicht nur ein guter PUE-Wert (Power Usage Effectiveness) massgebend, meint Deepgreen-CEO Reinhardt. Neben dieser Masseinheit für ein energieeffizientes Datacenter werde es zunehmend wichtiger, dass die Betreiber den Strom aus erneuerbaren Energien beziehen. So will Deepgreen etwa mithilfe des Walensees für kühle Serverfarmen in seinem geplanten Rechenzentrum sorgen. «Der Atomausstieg spielt uns in die Hände», folgert er.


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