12.07.2013, 09:10 Uhr

Wie das Geschäft sozialer wird

Technologie verändert Gesellschaft, Wirtschaft und die zwischenmenschliche Interaktion. Unternehmen sollten sich dieser Entwicklung nicht verschliessen, sondern sie mitgestalten – dann ergeben sich auch neue Marktchancen.
Unternehmen sollten sich der technologischen Zukunft nicht verschliessen, sondern sie mitgestalten
Mehr als 1,5 Milliarden Menschen verwenden Smartphones oder Tablets, über 1 Milliarde User tauscht Informationen über soziale Netzwerke aus. Wir bewegen uns rasant auf eine Welt zu, die offener, vernetzter, transparenter ist, und die IT-Branche ist daran massgeblich beteiligt. «Innovationen durch Informationstechnologie beeinflussen sowohl die Gesellschaft als auch die Wirtschaft enorm», sagt Thierry Breton, CEO von Atos. Der Chef des internationalen IT-Dienstleisters und ehemalige Finanzminister Frankreichs ist davon überzeugt, dass die neuen Dienste und Geschäftsmodelle massgeblich das Wachstum anregen und die Konjunktur beleben. Die Unternehmen müssten lediglich die sich dadurch bietenden Geschäftschancen nutzen.

Gesellschaft und Märkte im Wandel

Die Industrienationen sehen sich heute einer stetig veränderten Gesellschaft gegenüber. Die allgegenwärtige Technologie lässt die Trennung zwischen Arbeits- und Privatleben verschwimmen, weicht Unternehmensmauern auf und fördert innovative Geschäftsmodelle. Hinzu kommen demografische Veränderungen in der Bevölkerung: «Digitale Muttersprachler» halten grossflächig Einzug in die Unternehmen, sie hinterfragen etablierte Praktiken und schaffen selbst neue Arbeitsformen. Dabei stehen aus dem Privaten bekannte Methoden im Vordergrund – etwa Blogs, Chats, Likes und Tweets. Firmenverantwortliche sind heute gut beraten, sich frühzeitig mit diesen neuen Praktiken auseinanderzusetzen. Sie müssen Wege finden, wie sie Techniken aus Social Media im Unternehmen abbilden und für das Geschäft nutzbar machen. Die Atos Scientific Community, ein weltweiter Verbund der 90 besten IT-Experten von Atos, prognostiziert in ihrem Trendbericht «Ascent Journey 2016», dass in den nächsten Jahren bis 2016 vor allem solche IT-Innovationen im Fokus stehen, die für Effi­zienzsteigerungen sorgen, neue Formen von Beziehungen und Geschäftsmodellen finden und damit die Konjunktur ankurbeln. Lesen Sie auf der nächsten Seite: Wirtschaftlicher Zwang

Wirtschaftlicher Zwang

Diverse Marktbeobachter und Wirtschaftsberatungsunternehmen wie Ernst & Young stimmen in die Atos-Prognosen ein. Demnach sind es fünf Faktoren, die in den nächsten Jahren nachhaltige Veränderungen auslösen: Social Media, die anhaltende Volatilität der Finanzmärkte, die Klimadiskussion, das Kräfteverhältnis zwischen West und Ost sowie die demo­grafische Entwicklung. Die von Ernst & Young befragten Geschäftsleiter von Firmen aus der Schweiz erwarten mehrheitlich, dass sich dieses veränderte Marktumfeld unmittelbar auf die Profitabilität auswirkt. «Mehr als jeder Zweite sieht erhebliche Schwierigkeiten, künftige Aufgaben mit der jetzigen Konzernorganisation zu meistern», sagt Marcel Stalder, Leiter Advisory Services Financial Services bei Ernst & Young. Die teilweise starren und traditionell gewachsenen Unternehmenshierarchien stehen dabei einem Wandel entgegen. Wer hier etwas bewegen will, braucht Geduld. Angesichts des Tempos, mit dem sich Geschäfte durch neue Technologie verändern, ist Zeit aber ein knappes Gut. «Die meisten grossen Organisationen sind zu langsam, um sich intern mit den digitalen Kunden auseinanderzusetzen», meint Michael Roemer, Partner beim Beratungsunternehmen A.T. Kearney.

Eins-zu-Eins-Marketing

Nach wie vor denken Vertriebs- und Marketingverantwortliche in den Unternehmen jedoch in Zielgruppen und streuen auch ihre Angebote entsprechend. Der mit Onlinepreisvergleichsdienst und Smartphone ausgerüstete Kaufinteressent wünscht sich jedoch längst personalisierte Angebote. Für diese direkte Betreuung der Smartphone-Nutzer und Onlineshopper sind jedoch mehr und neuartige Informatik­ressourcen erforderlich. «Im Idealfall interagiert der Anbieter direkt mit seinem Kunden»,  meint Frank Theisen, Vice President Smarter Analytics und Smarter Commerce von IBM Europe. Das allerdings erfordert maximal
detaillierte Informationen über den Verbraucher, was wiederum personelle und insbesondere IT-Ressourcen kostet. Das Geschäft wird wieder persönlich wie im Kiosk an der Strassenecke. Nur kann die Strassenecke heute eben auch in Ruanda sein, wenn der Onlineshop dort sein Rechenzentrum betreibt. Lesen Sie auf der nächsten Seite: Wollen, aber nicht können

Wollen, aber nicht können

Viele Mitarbeiter in den Unternehmen – vor allem die Digital Natives unter ihnen – sind für die direkte Interaktion mit dem Kunden, Kollegen oder Lieferanten durchaus bereit und stehen dem Einsatz von Social Tools am Arbeitsplatz auch offen gegenüber. Das ergab eine europaweite Umfrage des Marktforschungs­unternehmens Ipsos im Auftrag von Microsoft: Ein Drittel der 301 Befragten in der Schweiz rechnen damit, dass Social Tools sie bei ihrer Arbeit gezielt unterstützen und ihre Produktivität deutlich verbessern könnten. Indes hapert es an den installierten Systemen. Jeder Dritte kritisiert, dass für seine Tätigkeit nicht ausreichend Social Tools zur Verfügung stehen. Einer von fünf Befragten würde sogar ins eigene Portemonnaie greifen: 18 Prozent sind bereit, Social Tools zu kaufen, um die Effizienz in der Zusammenarbeit mit den Kollegen zu verbessern – eine Horrorszenario für Compliance- und Sicherheitsverantwortliche. Letztere sind daher auch die grössten Bremsen. Ein Hauptgrund, warum Schweizer Unternehmen Social Tools im Arbeitsumfeld skeptisch gegenüberstehen, sind Sicherheitsbedenken (70%). Darüber hinaus befürchten 54 Prozent Produktivitätsverluste. Professionelle Software für das «Social Business» will diese Sicherheitsbedenken lindern und auch Zweifel an der Produktivität ausräumen. «Richtig eingesetzt, trägt Enterprise Social einen signifikanten Mehrwert in Unternehmen bei», sagt zum Beispiel Axel Oppermann, Senior Advisor bei der Experton Group. Der Unternehmensberater ist davon überzeugt, dass Social Tools für «eine bessere Vernetzung und Zusammenarbeit, auch über Standorte und Ländergrenzen hinweg» sorgen und so die Produktivität erhöhen.
Marktführer im Social Business
Die Analystenhäuser Gartner und IDC sind sich uneins über den Markt für Social Software. Erstere zählen Microsofts SharePoint dazu und billigen der Portallösung die Marktführerrolle zu. IDC klammert das Serverprodukt aus und sieht stattdessen IBM an der Spitze.

IBM Die Lösungspalette von Big Blue reicht von «Connection», «Notes» und «Domino» über «FileNet» und «WebSphere» bis zu «Sametime». Zusätzlich lassen sich die Funktionen auch aus der «SmartCloud» beziehen. IBM sieht «Social» als strategisch wichtiges Geschäftsfeld an, ist in Industrievereinigungen an der Standardisierung beteiligt und offen für Fremdsysteme wie Exchange oder SharePoint. Der deutsche Industriekonzern Bayer ist ein Connections-Referenzkunde mit rund 110000 Usern. An der Einführung war das Schweizer Beraterhaus SoftwareOne beteiligt.

Jive Ausschliesslich auf Social Software konzentriert sich Jive. Die Lösungen für einzelne Anwendungsfälle – etwa Intranet, Kundendienst oder Marketing – sind separat oder im Paket erhältlich. Bei der Implementierung helfen deren Berater oder Consulting-Anbieter wie Accenture, Cognizant oder PwC. Eine Referenz hierzulande ist die Swiss Re mit global 11000 Anwendern. Solche Grosskunden sind laut Gartner-Analyst Nikos Drakos allerdings auch eine Gefahr: Wenn die Programmierer bei Jive zu viel auf die Kundenwünsche hören, verlieren sie allenfalls das Gespür für den sich rasant entwickelnden Markt.

Salesforce Als Erweiterung für das Customer Relationship Management (CRM) konzipiert Salesforce.com seine Lösung «Chatter». Das bedeutet jedoch keine funktionale Einschränkung, denn Networking, Informationsaustausch und etwa Blogs sowie Foren sind vorhanden. Damit ein grösstmöglicher geschäft­licher Nutzen realisiert werden kann, ist eine Salesforce.com-Installation aber notwendig. Nur dann kann der Verkäufer zum Beispiel seine Abschlüsse automatisch in den Nachrichtenstrom einfliessen lassen. Diese Möglichkeit nutzt beispielsweise der Touring Club Schweiz mit seinen 1600 Mitarbeitern an den Standorten Bern, Emmen, Schönbühl, Vernier und Volketswil sowie den über die ganze Schweiz verteilten 24 Sektionen. Jenseits von Salesforce.com stehen Schnittstellen, z.B. für SharePoint, bereit.

Microsoft Microsoft besitzt seit gut einem Jahr zwei konkurrierende Produkte für Social Business. Während die Portallösung «SharePoint» in den letzten Releases immer wieder um Funktionen für die firmeninterne Kollaboration ausgebaut wurde, war das zugekaufte «Yammer» voll auf Social fokussiert. Nun sollen die Lösungen integriert werden. Vorerst gibt es nur Schnittstellen, und jede Lösung kann noch separat lizenziert werden. Das Bundesamt für Informatik und Telekommunikation schaltet für seine etwa 1000 Mitarbeitenden demnächst die Blogs, Foren und My Sites von SharePoint frei. ABB setzt dagegen für seine 145000 Angestellten in 100 Ländern auf Yammer für die interne Kommunikation und die kollaborative Produktentwicklung.


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