Dokumentenmanagement 24.04.2013, 13:28 Uhr

Wille zur Veränderung

Unternehmensweite Systeme für das Dokumentenmanagement sind hierzulande noch nicht weitverbreitet. Gründe dafür gibt es viele. Der schwerwiegendste: die Macht der Gewohnheit. So räumen Sie die Stolpersteine aus dem Weg.
Unternehmensweite Systeme für das Dokumentenmanagement sind hierzulande noch nicht weitverbreitet. Gründe dafür gibt es viele
Die Vorteile von Document Management Systems (DMS) sind auf den ersten Blick überzeugend: Die Mitarbeitenden sparen Zeit, weil sie nicht mehr lange nach Informationen suchen müssen. Die gewonnenen Freiräume lassen sich mit neuen Aufgaben füllen. Daneben erledigen sie die Ablage schneller, was einen zusätzlichen Produktivitätsgewinn bedeuten kann. Laut Professor Knut Hinkelmann von der Fachhochschule Nordwestschweiz ist die Rechnung zur DMS-Einführung theoretisch einfach: Arbeitszeit minus Suche und Ablage ist gleich Produktivität. Bei konstanter Arbeitszeit und weniger Aufwand für Suche und Ablage resultiert mehr Produktivität – so die Theorie. In der Praxis geht die Rechnung nicht ohne Weiteres auf, weiss Hinkelmann. Ein grosser Stolperstein in jedem Einführungsprojekt ist das zwingend erforderliche Umdenken. Laut dem Wirtschaftsinformatik-Professor gehen DMS-Projekte dabei teilweise von falschen Voraussetzungen aus: «Ein DMS sollte nicht einfach die bestehenden Dokumente elektronisch verwalten, sondern nur – allerdings möglichst alle – geschäftsrelevanten Daten.» Es geht also nicht darum, den Bestand zu ermitteln, sondern lediglich den unbedingt notwendigen Bedarf. Hier muss rigoros aussortiert werden: Nur die Inhalte, die zwingend erforderlich sind, um einen Geschäftsprozess abzuschliessen, dürfen erfasst werden. Trennen sollten sich die Unternehmen von Dokumenten, die allenfalls auch noch interessant sein könnten, aber nicht direkt auf das Geschäft einzahlen. Das bedeutet ein Umdenken auf allen Ebenen – auch in der Geschäftsleitung.

Chefsache DMS-Einführung

Auch der St. Galler Rechtsanwalt Stephan Staub kennt die Stolpersteine, besonders solche, die bei den Behörden im Weg liegen: «Wie der Mitarbeiter auf der untersten Hierarchie-Ebene muss auch der Behördenvorsteher seinen Arbeitsablauf ändern», fordert Staub. Für den Projekterfolg sei die Verpflichtung und aktive Mitarbeit der Führungskräfte unerlässlich. In öffentlichen Verwaltungen türmen sich zudem höhere Hürden für eine elektronische Dokumentenablage auf als in der Privatwirtschaft. Denn für die rein digitale Archivierung benötigen Mitarbeiter oftmals eine Sonder­bewilligung. Teilweise schreibt das Gesetz vor, dass Beschlüsse unterschrieben auf Papier abgelegt werden müssen. Dadurch kommt beispielsweise die Stadt St. Gallen nicht umhin, an ihrem Papier­archiv festzuhalten. Staub begleitet dort die Ablösung des Fileservers durch eine SharePoint-Lösung. Erfassen die St. Galler künftig ein Dokument elektronisch, werden ihm allfällige Aufbewahrungs- und Sperrfristen automatisch mitgegeben. Lesen Sie auf der nächsten Seite: (Un)geschriebene Gesetze

(Un)geschriebene Gesetze

In der Wirtschaft sind nach den Worten von Rechtsanwalt Erich Tagwerker hauptsäch­lich die Aufbewahrungsfristen der Geschäfts­bücherverordnung (GeBüV) und der Verordnung über elektronische Daten und Informationen (EIDI-V) bindend. Allerdings beschränkt sich die dort festgeschriebene zehnjährige Aufbewahrungsfrist nicht allein auf Geschäftsbücher, sondern auch auf Buchungsbelege. Ausserdem müsste auch Geschäftskorrespondenz via
E-Mail zehn Jahre lang aufbewahrt werden – natürlich so, dass sich die Informationen jederzeit abrufen lassen. Wenn ein Unternehmen heute ein DMS inklusive Archivierung einführt, muss bei der Technologiewahl also auch die Zukunftssicherheit berücksichtigt werden. Wer  zum Beispiel bis 2000 noch mit WordPerfect Texte produziert hat, braucht Software, die das Format noch lesen kann. Microsoft hat die passenden Importfilter mittlerweile aus seiner Textverarbeitung entfernt. Die Problematik des Zugriffs auf Legacy-Daten ist eine dauerhafte Herausforderung. Gesetzlich gesehen sind elektronische und Papierdokumente zwar gleichgestellt, die gelebte Praxis ist jedoch eine andere, wie Tagwerker als Partner der Zürcher Kanzlei Bellerive Rechtsanwälte weiss: «Eine Unterschrift auf Papier hat vor Gericht noch mehr Gewicht als ein PDF mit einem Zeitstempel und einer elektronischen Signatur.» Auch die Berner ICT-Anwältin Ursula Widmer weist darauf hin, dass streng genommen auch elektronische Dokumente als Beweismittel zugelassen sind. Sie seien jedoch nur dann den Papierdokumenten gleichwertig, wenn durch organisatorische und technische Massnahmen sichergestellt ist, dass der Inhalt während des Scanning-Prozesses und der nachfolgenden Speicherung nicht verfälscht worden ist. Welche Massnahmen dabei infrage kommen, hat das deutsche Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) neu in der Vorschrift «TR 03130 Ersetzendes Scannen» festgeschrieben, erklärt Widmer. Die Richtlinie gibt Unternehmen und beauftragten Dienstleistern Regeln für das rechtssichere Scannen von Originalen an die Hand. Lesen Sie auf der nächsten Seite: die einsame Insel

Die einsame Insel

Es muss aber gar nicht vor Gericht gehen, damit eine elektronische Dokumentenablage ihren Nutzen einbüsst. «Schweizer Firmen sind intern meist gut vernetzt. Sobald aber ein Lieferant oder ein Kunde hinzukommt, wird häufig wieder auf Papier gedruckt», berichtet Beat Steiner, Lead Business Operations bei Ajila. Das IT-Dienstleis-tungsunternehmen aus Sursee bietet Lösungen auf der Basis von PDF an, mit denen sich Medienbrüche vermeiden lassen.
Für Steiner ist PDF eine Möglichkeit, plattformunabhängige Geschäftsanwendungen zu realisieren, die sowohl intern als auch von externen Stakeholdern verwendet werden können. Programme für das Adobe-Standardformat sind für diverse Betriebssysteme und Plattformen, also etwa Desktop, Smartphone oder Webbrowser, verfügbar. Via Webservices lassen sich Dokumente oder interaktive Formulare an Back­end-Systeme anschliessen. Für die rechtssichere Kommunikation sowie gesetzeskonforme Archivierung unterstützt PDF zudem auch elektronische Signaturen wie SuisseID.

Die Qual der Wahl

Die Lösung von Ajila ist eine von vielen. Im letzten Magic-Quadranten für das Enterprise Content Management des Analystenhauses Gartner sind 22 Produkte bewertet. Demnach stammen die marktführenden Lösungen von EMC, Hyland, IBM, Microsoft, OpenText und Oracle. Hier nicht berücksichtigt sind allerdings reine Cloud-Lösungen, wie sie zum Beispiel die Post-Tochter Scalaris jüngst lanciert hat. Das Produkt Doculife Swiss respektiert die Bedenken von hiesigen Unternehmenslenkern, die ihre Geschäftsdaten nicht im Ausland wissen wollen. «Eine eigene Lösung für die Schweiz wäre nicht zu bezahlen gewesen», gesteht Philipp Sander, Mitglied der Geschäftsleitung von Scalaris. Der Anbieter setzt auf eine von der deutschen Niederlassung entwickelte Software, hostet die Anwendung aber in der Schweiz. «Das Rechenzentrum erfüllt die Finma-Vorschriften für Banken-Outsourcing», begegnet Sander den Bedenken hinsichtlich Datenschutz und Sicherheit. Mit der Cloud-Option ist der Markt für DMS noch grösser geworden. Beispielsweise listet der Marktspiegel des IT-Beratungsunternehmens Trovarit Details zu ca. 180 DMS-Applikationen. Marcel Ritter, Geschäftsleiter des IT-Dienstleisters Multi-Support, weiss sogar von rund 250 Lösungen auf dem Markt. Sein Rat: «Anwenderunternehmen sollten nicht das Produkt auswählen, sondern den Umsetzungspartner.» Bei der Suche und Entscheidungsfindung sind Aspekte wie Referenzen, Workshops mit Fachbereich und Informatik sowie dem Partner, zentrale Ansprechpartner und eine vorab geregelte Kommunikation hilfreich. Lesen Sie auf der nächsten Seite: Der «Big Bang»

Der «Big Bang»

Dimitrios Tombros vom Beratungsunternehmen AWK ermutigt jedes Unternehmen, DMS-Produkte einzuführen. Seiner Erfahrung nach lässt sich der wirtschaftliche Nutzen der Lösungen auf Franken und Rappen errechnen. Damit seien DMS-Projekte primär Business-Projekte, meint Tombros. Das Geschäft könne elektronische Prozesse straffen oder sogar neu definieren. Erforderlich ist allerdings, dass die bestehenden Abläufe detailliert und inklusive allfälliger Umwege sorgfältig dokumentiert und damit analysierbar sind. Laut Tombros muss jedes DMS-Projekt in eine definierte, langfristige Unternehmensstrategie eingebettet sein. Ausserdem wichtig ist die schrittweise Einführung von Systemen und Abläufen, um die Angestellten nicht durch einen «Big Bang» zu verunsichern. Erfolgskritisch für ein DMS-Projekt ist nach Ansicht des Experten vor allem die Bereitschaft der Nutzer, anlässlich der Software-Einführung auch ihre Arbeitsweise zu verändern.


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