11.11.2013, 06:00 Uhr

Die virtuelle Universalbank

Glaubt man den Analysten, bringen die nächsten Jahre den Banken dramatische Veränderungen. Neue Marktteilnehmer stellen die etablierten Geschäftsmodelle infrage.
Microsoft-Mitbegründer Bill Gates bezeichnete die Banken schon im Jahr 1994 als «Dinosaurier», an denen ein Weg vorbei gesucht werden müsse. Gates’ Vision, Finanztransaktionen direkt von einem Benutzer zum anderen laufen zu lassen – anlässlich eines Übernahme­versuchs des Microsoft-Money-Herstellers für den Hauptkonkurrenten Intuit Quicken geäus­sert –, ist allerdings bis heute keine Realität. Trotz Mobility und Tablet-Apps hat sich für die Grossbanken am Geschäftsmodell kaum etwas verändert. «Auch hinter PayPal steckt ein herkömmliches Bankkonto», sagt Andreas Kubli, bei der UBS als Head of Multichannel Management and Digitization für zukunfts­weisende Projekte zuständig. Sämtliche Prozesse laufen schon seit Jahren elektronisch ab. «Eine Bank wirtschaftet meist vollkommen virtuell, während der Onlinehandel, zum Beispiel mit Schuhen, zur grossen Konkurrenz für lokale Geschäfte erwächst», ergänzt Marc P. Bernegger, Partner bei der Next Generation Finance Invest. Dass sich der Schweizer Internetpionier mit seiner Investment-Firma an Start-ups aus dem Finanzwesen beteiligt, hat einen guten Grund. Konkurrenz entsteht für die etablierten Banken weniger aus den einzelnen Onlineangeboten, sondern aus allen zusammen. Gemeinsam könnten sie das Internet zu einer virtuellen Universalbank machen, die alle fünf Säulen bedient: Aktiv- und Passivgeschäft, Zahlungsverkehr, Wertpapierhandel sowie Dienstleistungen. Die etablierten Marktteilnehmer sind nun gefordert, sich in der neuen Realität zu positionieren.

Aktivgeschäft

Im Aktivgeschäft dominieren hierzulande immer noch die traditionellen Banken. Alternative Schweizer Firmen sind in erster Linie beim
Angebotsvergleich der Kreditinstitute aktiv. MoneyPark bietet beispielsweise seit vergangenem Jahr eine Beratungsplattform für Hypotheken. Die Zürcher sind dabei nicht nur online präsent, sondern auch an sechs physischen Standorten: Aarau, Basel, Bern, Luzern, St. Gallen und Zürich. Im Web haben Kunden Zugriff auf Hypothekarlösungen von mehr als 60 Anbietern, darunter Gross-, Kantonal- sowie Privatbanken und auch Pensionskassen sowie Ver­sicherungen. Die Produkte können nach allen Parametern verglichen werden – unterstützt durch Onlinevideochats oder persönlich durch einen Spezialisten in den Filialen. Nächste Seite: Passivgeschäft
Jenseits der Grenzen ist das Angebot im Aktiv­geschäft grösser: Beispielsweise agieren in Deutschland seit 2007 Auxmoney und Smava im Online­kreditgeschäft. Über deren Plattformen können Anleger anderen Privatpersonen Kredite geben – ganz ohne traditionelle Banken. Der Online­bezahldienst PayPal prüft ebenfalls den Einstieg ins Kreditgeschäft, allerdings zurzeit nur in den USA. Dort erhalten neuerdings auch gewerbliche Händler einen Kredit. Der Clou: Es wird lediglich eine einmalige Gebühr berechnet und keine Zinsen. Der Bezahldienst ist mit diesem Angebot nicht allein: Amazon testet zum Beispiel Kredite für seine professionellen Händler.

Passivgeschäft

Über den Angebotsvergleich, etwa für Spar­einlagen, gehen hiesige Unternehmen zurzeit nicht hinaus. Beim derzeit in der Schweiz wohl bekanntesten Vergleichsportal Comparis.ch sind tagesaktuell die Zinssätze von Säule-3a-Sparkonten von mehr als 50 Banken abrufbar. Daneben lassen sich auch andere Geldanlagen, etwa Konditionen für herkömmliche Sparkonten, vergleichen. Dabei stellt Comparis.ch jedoch lediglich die Zinssätze der Schweizer Finanzkonzerne gegenüber, für das Produkt selbst muss der Anleger doch wieder zur Bankseite wechseln.

Zahlungsverkehr

Es besteht kein Zweifel daran, dass der Zahlungsverkehr zunehmend mobil abgewickelt wird. Das Marktforschungshaus Gartner rechnet für das Jahr 2017 mit 450 Millionen Nutzern von Smartphone-Payments und einem Umsatz von über 720 Milliarden US-Dollar. Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG blickt sogar noch optimistischer in die Zukunft: Bereits im Jahr 2015 sollen mit mobilen Bezahllösungen mehr als 1 Billion US-Dollar umgesetzt werden. Entsprechend hoch sind die Investitionen der Finanzdienstleister und neuen Player auf diesem Gebiet. Etwa partnert die Grossbank UBS mit der britischen Firma SumUp. Das Start-up bietet eine iPhone-App und ein Kartenlesegerät an, das die UBS vertreiben wird. Dieses Kartenlesegerät ist vor allem für das Kleingewerbe interessant. Das können Firmen sein, denen bestehende Lösungen zu teuer sind oder die ihr Smartphone oder Tablet als mobile Kasse einsetzen wollen. Gegen die Banken tritt neu auch die Neue Zürcher Zeitung an, die gemeinsam mit dem IT-Unternehmen Crealogix ein privates Finanzportal lanciert. Dort werden sich Konten verschiedener Finanzdienstleister integrieren und der Zahlungsverkehr jenseits der E-Banking-Plattformen steuern lassen. Die Entwickler der App Numbrs planen eine ähnliche Funktionalität. Die Zürcher Gründer wollen weltweit mehr als 3500 Bankkonten einbinden können, potenzielle Kunden sehen sie vorläufig in Deutschland. Dort ist auch das Zahlen ohne Bargeld und Bankkarte bereits Realität. Dafür partnert das Start-up Yapital mit dem Lebensmittelhändler Rewe: Bis Ende Jahr sollen in allen Rewe-Märkten die Kassensysteme umgerüstet sein. Dann werden Verbraucher ihre Einkäufe durch Scannen eines QR-Codes auf dem Kassenzettel mit der Yapital-App bezahlen können. Der Vorteil dieser Lösung: Im Gegensatz zum mobilen Bezahlen per NFC, auf die in der Schweiz zum Beispiel Migros, Jumbo und Coop setzen, funktioniert der QR-Code auch mit Geräten ohne NFC – wie etwa das neue iPhone. Nächste Seite: Wertpapierhandel und Fazit

Wertpapierhandel

Deutsche Start-ups schicken sich an, wichtige Player im Wertpapiergeschäft zu werden. Die Trading-Plattform Ayondo aus der Börsenstadt Frankfurt verbindet beispielsweise erfahrene Trader mit Hobbyanlegern in einem Social Network. Auf Ayondo veröffentlichen Top-Händler für ihre Follower eine Anlagestrategie. Investieren die Follower in die gleichen Finanzprodukte, machen sie die gleichen Gewinne wie die Profis. Die Stärken von Social Media machen sich auch die Gründer von StockPulse zunutze. Laut Geschäftsführer Jonas Krauss verarbeitet StockPulse pro Tag mehrere 100'000 Nachrichten von Twitter und einschlägigen Foren sowie Finanz­webseiten. Aus diesen Echtzeitdatenströmen kalkuliert die Software Kaufempfehlungen für Aktien. Neben der deutschen Fidor Bank soll auch ein Finanzinstitut aus der Schweiz eine Kooperation mit StockPulse erwägen. Mit Schweizer Know-how hat Ivo Streiff das Portal MyDepotCheck.com aufgebaut. Der Dienst will vom sinkenden Vertrauen in die traditionellen Finanzdienstleister und den erodierende Margen im Wertpapiergeschäft profitieren, sagt der Gründer. Dazu werden zum Beispiel Vergleiche aller Bankgebühren und eine Marktbewertung des Port­folios geboten. Bankhäuser sind auf dem Gebiet zwar ebenfalls aktiv, eine Depotprüfung läuft aber meistens automatisiert ab. Mit MyDepotCheck.com kann der Verbraucher selbst agieren und wird angeleitet, seine Investitionen kritisch zu hinterfragen, skizziert Streiff seinen Ansatz.

Finanzdienstleistungen

Bei Versicherungen kalkulieren die Finanzdienstleister mit der Trägheit der Verbraucher. Ist eine Police einmal gezeichnet, wechselt kaum noch jemand den Anbieter. Die Unternehmen erschweren den Wechsel zusätzlich, indem sie hohe Gebühren erheben, wenn ein Kunde doch aussteigt. Diese Missstände prangern die Gründer von bfox.ch an. Das vor knapp zwei Jahren lancierte Portal erlaubt detaillierte Versicherungsvergleiche für alle Sparten: Unter anderem können Konditionen für Auto-, Haftpflicht-, Hausrat- und Lebensversicherungen der neun grossen Gesellschaften der Schweiz miteinander in Konkurrenz gesetzt werden. Für Verbraucher ist der Dienst kostenfrei, die Anbieter zahlen bei Vertragsabschluss eine Prämie an bfox.ch. Ähnliche Vergleichsportale gibt es noch mehr, die Produkte sind aber wiederum nur bei den traditionellen Finanzdienstleistern zu erhalten.

Fazit: Nicht nur Make or Buy

Insgesamt gesehen ist das «Social Banking» weder in den Nachbarländern noch in der Schweiz besonders weit fortgeschritten. Jedoch ist das Ausland unzweifelhaft weiter – ins­besondere im angelsächsischen Raum, wo die Anleger und Verbraucher traditionell frei­ge­biger mit Finanzinformationen sind. Das
befördert die Entwicklung von Geschäftsideen rund um Finance 2.0. Jedoch stehen laut Internet­pionier und heutigem Finanzinvestor Marc P. Bernegger die alten und neuen An­gebote nicht nur in Konkurrenz zueinander: «Zwischen Newcomern und etablierten Playern im Finanzmarkt sind durchaus Kooperationen denkbar.» Das sollte auch die Schweizer Banken zum Nachdenken bringen.


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