08.08.2014, 09:00 Uhr

Advanced Analytics für Versicherungen

Laut Gartner stehen im Segment der Unternehmens­versicherungen gros­se Investitionen in Big Data & Advanced Analytics an. Die kundenspezifischen Detailanalysen optimieren Verträge, Schadensmanagement, Betrugs­erkennung und damit die Gewinnspanne.
Für die Versicherungsbranche sind Big Data und Advanced Analytics (BD&AA) hochinteressant. Um das Potenzial auszuschöpfen, hat sich eine Strategie bewährt
Matthias Hürlimann ist Senior Business Consultant im Bereich Insurance bei BearingPoint; Ciril Baselgia ist dort Technology Analyst.
Beim «Underwriting», also im Versicherungsgeschäft mit Unternehmenskunden, greifen die Versicherungen traditio­nell auf statistische Methoden zurück, um die Preise zu berechnen. Eine der frühesten Versicherungsformen war z.B. die Transport­ver­sicherung für Schiffe. Schon die Griechen und Römer wendeten zur Identifizierung potenziell gefährlicher Schiffe statistische Analysen an. Im heutigen Kontext helfen aus Big Data ab­geleitete Informationen, bessere Modelle für die Risikobewertung und Preisgestaltung von Ver­sicherungsprodukten zu entwickeln (vgl. Kasten). Für ein so wettbewerbsintensives Geschäftsfeld wie das der Transportversicherungen, dessen Gewinne durch sinkende Margen und einen hohen Anstieg an Dienstschiffen erheblich unter Druck geraten ist, kann die richtige Analyse­methode zu einer existenziellen Frage werden. Für die Versicherungsbranche ist das Potenzial von Big Data und Advanced Analytics (BD&AA) also hochinteressant.

Die Strategie

Um dieses Potenzial auszuschöpfen, hat sich in der Praxis eine Strategie bewährt, die folgende fünf Bereiche systematisch angeht: 1. Unternehmensstruktur: Um von Big Data profitieren zu können, ist eine datenbasierte Firmenkultur erforderlich. In der Praxis hat sich die Einrichtung eines in die Business-Funktionen eingebetten Kompetenzzentrums bewährt. Zu dessen Aufgaben zählen üblicherweise das Portfoliomanagement (Prioritäten, Transparenz, Synergien), die Identifizierung von Innovationen, die Unterstützung von Pilotprojekten, das Kommunizieren und Teilen von Best Prac­tices, Governance & Compliance und ganz allgemein das «Mithalten» mit aktuellen BD&AA-Markttrends und -Entwicklungen. 2. Change Management & Kommunikation: Wie in anderen strategischen Projekten ist die Beteiligung der wichtigsten Interessengruppen und eine klare Kommunikation der Ziele essenziell. Ausserdem sollte sich das Unternehmen über seine Positionierung auf dem Markt hinsichtlich BD&AA im Klaren sein – was auch bei der Rekrutierung notwendiger Mit­arbeiter eine Rolle spielt. 3. Datenkapazität: Welche internen und externen Daten stehen zur Verfügung? Wie wird der Zugang zu kritischen Daten verwaltet und gesichert? Ein Überblick über die Datenlandschaft kann dabei helfen, neue Geschäftsmöglichkeiten zu identifizieren. 4. Menschen, Methoden und Fähigkeiten: Wichtig ist, von Anfang an den Aufbau des notwendigen Know-hows im Blick zu haben. Will man Kooperationen mit Hochschulen und BD&AA-Anbietern aufbauen, eigene Mitarbeiter schulen, neue Spe­zialisten einstellen oder Consultants beauftragen? Kann eventuell ein auf BD&AA spezialisiertes Unternehmen übernommen werden? Der Begriff «Data Scientist» ist in diesem Zusammenhang allgegenwärtig. Laut Gartner umfasst diese aufstrebende Disziplin einerseits «Hard Skills» wie Prozesswissen, Statistiken, Datenvisualisierung, Data Mining, maschinelles Lernen sowie Datenbank- und Computerprogrammierung. Ebenso notwendig sind jedoch «Soft Skills» wie Kommunikation, Zusammenarbeit, Führung und eine gewisse Leidenschaft für Daten. Einige Funktionen, zum Beispiel Social-Media-Analysen, können auch von externen Anbietern bezogen werden. Spezifischere Anwendungen, Methoden und Techniken hingegen sollten intern entwickelt werden. Da diese Methoden in Zukunft erwartungsgemäss Wettbewerbsvorteile bringen, besteht eine hohe Nachfrage nach Data Scientists. Kleinere Gesellschaften könnten es daher beim Rekrutieren schwerer haben. 5. Business Cases: Ein dedizierter Innovations- und Portfoliomanagement-Prozess erleichtert die Verwaltung und Weiterentwicklung von
Geschäftschancen. Dieser definiert, wie neue Ideen identifiziert und bewertet werden, was die Kriterien dafür sind und wer die Verant­wortung trägt. Ein Pilotprojekt kann dabei frühzeitig Machbarkeit und Potenzial klären. Lesen Sie auf der nächsten Seite: die Umsetzung

Die Umsetzung

Insgesamt erfordert eine tragfähige BD&AA-Strategie eine klare Vision, solide Planung und die langfristige Ausrichtung der Unternehmenskultur und -struktur. Die meisten Unternehmensversicherungen verfügen bereits über mathematisches und statistisches Know-how für Advanced Analytics. Oft ist jedoch die
betriebliche und technische Transformation zu einem datengesteuerten Unternehmen schwierig. BearingPoint hat deshalb einen Standardansatz entwickelt, um Unternehmen dabei zu helfen, BD&AA-bezogene Geschäftschancen zu adressieren. Die wichtigsten Eckpfeiler:   1. Business Opportunity erkennen: Innerhalb der letzten Jahre hat sich der Entscheidungsfindungsprozess vom Prinzip «wahrnehmen und reagieren» zu «vorhersagen und handeln» gewandelt. Parallel dazu hat sich der Blick­winkel von einer IT-getriebenen zu einer Business-getriebenen Analytik verlagert. Eine Wertschöpfung ist aber nur dann möglich, wenn sich ein Unternehmen für BD&AA klare Ziele setzt und die Zusammenarbeit zwischen den Abteilungen funktioniert. 2. Daten verstehen: Zwei verschiedene Kontexte müssen in Betracht gezogen und verstanden werden: Erstens der Business-Kontext, also, welche Daten werden benötigt, um Fragen aus dem Business beantworten zu können? Und zweitens der technische Kontext: Wo werden die Daten gespeichert und wie kann man darauf zugreifen? Es empfiehlt sich, zunächst mit leicht zugänglichen, strukturierten und unstrukturierten internen Daten zu arbeiten, bevor der externe Datenmarkt genutzt wird. So können die Fähigkeiten Schritt für Schritt ausgebaut werden. 3. Daten aufbereiten: Durch ein Analysewerkzeug verarbeitete Daten müssen transformiert, bereinigt und aufgearbeitet werden. Ein Plau­sibilitätscheck zeigt dabei schon früh mögliche Herausforderungen auf, etwa schlecht ausgebildete Nutzer, mangelhafte Benutzeroberflächen und/oder Daten-Governance-Themen. 4. Modellieren: Basierend auf den Geschäfts­anforderungen werden nun geeignete Modellierungstechniken ausgewählt und angewendet. Die grösste Herausforderung ist dabei nicht die Entwicklung mathematischer Modelle (über dieses Know-how verfügen die Versicherungen bereits), sondern die Umsetzung und Anwendung der neusten Techniken, denn Hadoop/MapReduce, HBase, Cloud Computing etc. sind oft noch nicht ausreichend implementiert. 5. Validieren: Valide Daten und Modelle sind Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Analyse. Die Qualitative Validierung beinhaltet eine Überprüfung des Modelldesigns, der zugrunde liegenden Daten und deren Qualität sowie interne Tests. Quantitative Validierung wird für Backtesting (Trennschärfe, Stabilität und Kalib­rierung der verwendeten Parameter) und Bench­marking eingesetzt. 6. Anwenden: Hat ein Ansatz seine Anwend­barkeit und seinen Wert bewiesen, kann er in den operativen Betrieb integriert werden. Zu klären sind dazu Fragen wie «Wer führt die Analysen durch?», «Welche Werkzeuge und Infrastruktur sind erforderlich?» und «Wie integriert man das Verfahren ins Betriebssystem?». 7. Überwachen: Die Leistungsfähigkeit der eingesetzten analytischen Modelle muss konti­nuierlich überwacht und wenn nötig angepasst werden. Insbesondere für Versicherungsunternehmen ist in diesem Zusammenhang «Model Risk» ein Thema, da die neuen Analyseverfahren auch einer künftig zu erwartenden Über­prüfung durch Aufsichtsbehörden wie OCC, BaFin oder Finma standhalten müssen. Lesen Sie auf der nächsten Seite: Fazit und Praxisbeispiel

Fazit: Jetzt starten

Für Versicherungen, die bereits verschiedene Modelle einsetzen, bietet sich eine Bestandsaufnahme aller verfügbaren Modelle an. Das wichtigste Ziel eines solchen Screenings ist es, Fälle kritischer Modelle zu identifizieren, die eine Investition in Verbesserungen rechtfertigen. Obwohl die meisten Versicherungen bei der Implementierung von BD&AA-Strategien erst am Anfang stehen, werden diese Technogien das Versicherungsgeschäft mit Sicherheit verändern. Das Potenzial für die Gewinnoptimierung und Entwicklung innovativer Produkte ist riesig. Durch Pilotprojekte können sich die Unternehmen rechtzeitig die nötige Praxis­erfahrung aneignen und Know-how aufbauen.
Beispiel aus der Praxis: Flottenversicherung
Zur Verbesserung der Risikobewertung von Schiffen hat BearingPoint für einen Kunden Flotten- und Schiffs­profile erarbeitet, auf deren Basis Risikoprognosen für schwere Verluste möglich sind, die mit traditionellen analytischen Methoden nicht zu erkennen waren. Als Datenmaterial flossen Angaben zur Vergangenheit eines Schiffs, Alter, Land der Registrierung und Versicherungsanmeldung, Art der Tonnage, Einsatzgebiet sowie flottenspezifische Informationen ein. Mit der selbstentwickelten HyperCube-Methodik gelang es BearingPoint, Regeln auszuarbeiten, die Attribute von riskanten und nicht riskanten Schiffen/Flotten beschreiben. Dazu zwei Beispiele: - Ein Schiff, das unter einer singapurischen Flagge registriert ist und zu einer Flotte mit einem proportional hohen Anteil von nassen Massengütern zählt, ist 1,3-mal sicherer als der Durchschnitt. - Ein Schiff einer kleinen Flotte, das drei kleinere Zwischenfälle innerhalb der letzten fünf Jahre hatte, wird 7,6-mal häufiger einen schweren Verlust erleiden als der Durchschnitt. Insgesamt wurden 13 Regeln identifiziert, die für 90 Prozent aller Grossschäden (> 100 Mio. Euro über 5 Jah­re) anwendbar sind. Basierend auf einem besseren Verständnis der versicherten Schiffe konnten infolgedessen Preisgestaltung, Zielgefässe und die Rekrutierung neuer Kunden optimiert und dadurch die Schadensquote verbessert werden.


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