02.08.2006, 11:33 Uhr

Web 2.0 à la Redmond

Microsoft will mit ihrer Windows-Live-Offensive das Web neu erfinden und Google & Co. Marktanteile streitig machen.
Das Web hat sich innerhalb eines Jahrzehnts von einem Spielzeug für Technik-Freaks zu einem gigantischen Marktplatz für Informationen entwickelt. Auch wenn diese Informationen nach wie vor nahezu ausnahmslos frei angeboten werden, steckt dahinter ein Milliardenmarkt, den bislang Unternehmen wie Google, Yahoo, Myspace.com (Online Community) oder Salesforce.com (Online CRM) dominieren. Allein Google hat im dritten Geschäftsquartal 2005 knapp eine Milliarde Dollar mit Onlinewerbung verdient und im Vergleich zum Vorjahr um beeindruckende 96 Prozent zugelegt. Microsoft, die nach wie vor den grössten Teil ihrer Einnahmen aus dem Verkauf von Windows- und Office-Lizenzen erzielt, spielt in diesem Markt im Moment lediglich eine Nebenrolle. Mit den neuen Windows-Live-Angeboten soll sich das in naher Zukunft ändern. Windows Live soll nicht nur dem Anwender eine Vielzahl attraktiver Dienste gebündelt auf seiner persönlichen Windows-Live-Startseite bieten, sondern dem Softwarekonzern neue Einnahmequellen bescheren.

Web im Umbruch

Das gesamte Web befindet sich in einer Umbruchphase. Dies betrifft nicht nur die Vielfalt der neuen Dienste, sondern auch die Art und Weise, wie diese angeboten werden. Das Schlagwort, welches die nächste Generation an Webanwendungen charakterisiert, heisst Web 2.0. Dahinter steht aber keine offizielle Definition des W3C, sondern ein Satz loser verbundener Techniken, die es zudem bereits seit Jahren gibt. Im Mittelpunkt einer typischen Web 2.0-Webanwendung steht mit Ajax (Asynchrones Javascript und XML) eine im Grunde recht simple Technik, durch die Webseiten Daten von einem Server abrufen können, ohne dass dazu die Seite komplett neu geladen werden muss. Ein typisches Beispiel ist das Einblenden zusätzlicher Informationen über Tankstellen, Restaurants und Sehenswürdigkeiten in eine Strassenkarte nach entsprechender Auswahl des Besuchers der Seite. Webseiten, die Ajax-Techniken benutzen, können dem Anwender jene Interaktivität bieten, die man ansonsten nur von Windows-Anwendungen gewohnt ist, ohne dass proprietäre Techniken wie Flash, Java oder ActiveX im Spiel sind.

Blick hinter die Kulissen

Im Mittelpunkt steht bei Ajax das XMLHttp-Request-Objekt des Browsers, das in der Lage ist, beliebige XML-Daten von einem Server abzurufen und via Javascript an den dafür vorgesehenen Stellen innerhalb der Webseite einzufügen. Normalerweise führt die Auswahl in einer Webseite dazu, dass das komplette Seitenformular an den Server übertragen, dort ausgewertet und mit neuen Informationen versehen wieder retour an den Browser geschickt wird. Während dieses «Daten-Ping-Pongs» bleibt dem Anwender nichts anders übrig als zu warten. Ajax erlöst den Anwender aus dieser passiven Rolle, in dem sich das Aktualisieren einzelner Seiteninhalte im Browser abspielt. Voraussetzung ist eine «Ajax-Engine», die auf Javascript basiert, und in einer Art unsichtbarem Frame den Aufbau der Seite steuert. Asynchron bedeutet in diesem Zusammenhang, dass neue Daten abgerufen werden, während der Anwender ein Seitenelement auswählt, so dass dieser nicht darauf warten muss, dass die Seite mit den neuen Daten komplett wieder aufgebaut wird. Ergänzt wird das XMLHttpRequest-Objekt durch das Document Object Model (DOM) von XHTML, das einen direkten Zugriff auf jedes Seitenelement erlaubt, CSS zur optischen Aufbereitung und natürlich Javascript, das alles zusammenfügt. Ajax basiert daher ausschliesslich auf Techniken, die Webentwicklern bereits seit vielen Jahren vertraut sind. In Kombination mit den Errungenschaften moderner Browser, wie etwa Drag&Drop-Unterstützung, ergibt sich ein Bedienkomfort, der dem einer typischen Windows-Anwendung sehr nahe kommt. Dieser Umstand und natürlich die überaus attraktiven Anwendungen, die sich mit Ajax umsetzen lassen, haben dazu geführt, dass in kürzester Zeit eine regelrechte Hysterie um dieses Thema ausgebrochen ist. Viele Webanbieter setzen Ajax bereits für ihre Angebote ein. Allen voran natürlich Google, unter anderem mit GMail, Google Groups, Google Suggest und Google Maps. Microsoft nutzt Ajax bereits für Outlook Web Access und MSN Virtual Earth. Auch wenn man sich von Ajax als reiner Client-Technologie, die einen entsprechend leistungsfähigen Browser voraussetzt, nicht zu viel versprechen darf, hat auch Microsoft die Bedeutung dieser neuen Technologie erkannt und bietet mit Atlas ein auf Javascript basierendes Client-Framework als Ergänzung zu ASP.NET 2.0 an.

Neue Windows-Live-Dienste

Microsofts Antwort auf Web 2.0 heisst Windows Live. Hinter diesem irgendwie vertraut klingenden Begriff, der mit dem Betriebssystem Windows aber relativ wenig zu tun hat, stecken eine Vielzahl von (teilweise auf Atlas basierenden) Diensten, von denen sich einige noch im Testbetrieb befinden. Manche der Live-Dienste, wie Live Mail, wirken recht vertraut, da sie direkt aus den MSN-Diensten hervorgegangen sind, andere, wie http://local.live.com oder http://expo.live.com, wurden komplett neu entwickelt und stehen auch bezüglich ihres Inhalts für eine neue Generation an Webangeboten. Alle Windows-Live-Dienste sind grundsätzlich browserunabhängig, wenngleich der Browser gewisse Mindestanforderungen erfüllen muss.
Wer in Windows Live oder Web 2.0 lediglich ein Tuning altbekannter Angebote mit trendig klingenden neuen Namen sieht, übersieht einen wesentlichen Faktor. Durch die Kombination von statischen Inhalten mit via Atlas beziehungsweise allgemein Ajax dynamisch abgerufenen «Informationsfeeds» (in Gestalt von XML-Daten) ergibt sich ein vollkommen neuer Typus von Webanwendungen. Dieses Zusammenfügen von Inhalten verschiedener Quellen im Rahmen einer Webanwendung wird im Web 2.0-Jargon «Mashup» genannt. Ein typisches Mashup würde beispielsweise eine E-Bay-Auktion verfolgen und aktuelle Gebote am Seitenrand anzeigen. Und für die letzte Fussball-WM wäre es natürlich sehr nett gewesen, wenn die über die offizielle Fifa-Webseite kurzfristig zum Verkauf angebotenen Tickets in die Live-Startseite eingeblendet worden wären. Web-2.0-Anwendungen werden in den nächsten Jahren eine ganz neue Nutzung des Webs erlauben. Ein genauso kurioses wie ein wenig makabres Beispiel ist die «Chicago Crime Map» (http://www.chicagocrime.org), welche die offizielle Polizeistatistik mit Google-Map-Informationen verknüpft, so dass die von der Polizei erfassten Verbrechen als Fähnchen im Stadtplan erscheinen und man auf einen Blick erkennt, welche Strassen man zu welchen Uhrzeiten besser meiden sollte.

In Zukunft alles live

In die seit Jahren anhaltende Debatte um das Pro und Contra von Thin- und Thick-Clients, bringen die Windows-Live-Dienste eine dritte Variante ins Spiel, bei der eine Webanwendung um lokale «Intelligenz» auf dem Client erweitert wird. Der Browser zeigt nicht nur statische HTML-Seiten an, sondern sorgt hinter den Kulissen für die Aktualisierung und eine überaus attraktive Darstellung der Daten. Mit Office Live plant Microsoft in Zukunft auch, Office-Funktionalität auf diese Weise zur Verfügung zu stellen und reagiert damit auf bereits existierende Angebote von Google. Man darf gespannt sein, welche Möglichkeiten demnächst im Browser zur Verfügung stehen werden.
Peter Monadjemi


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